Circular Design Cards by Sabine Lettmann
© Aldo Heubel: Circular Design Cards by Sabine Lettmann

Circular Fashion: Bildung schafft Veränderung

Das Schlüsselwort für wahre Veränderung in der Modeindustrie? Aufklärung. Designerin und Kreislauf-Expertin Sabine Lettmann sorgt mit ihrer Arbeit dafür, dass zirkuläre Modepraktiken nicht nur schöne Theorie bleiben, sondern es auch auf Lehrpläne und in den Alltag von Modelabels schaffen.

Wenn wir nicht umdenken, ändert sich nichts – das ist die Devise von Sabine Lettmann. Seit dem Jahr 2000 arbeitet die gebürtige Deutsche als freiberufliche Modedesignerin für ihr eigenes Label, als auch für individuelle Projekte in den Bereichen Konzeption, Design, Schnittkonstruktion, Musterentwicklung und kreative Beratung. Ihre Passion ist dabei stets, einen neuen Zugang zum Thema zirkuläre Mode zu schaffen. Um diese sogenannte Circular Fashion nicht nur ins Bewusstsein der Menschen, sondern auch in den Alltag von angehendem Modenachwuchs zu bringen, lehrt Sabine Lettmann im Bereich Design, Konzeptentwicklung und zirkuläres Systemdenken an der Birmingham City University sowie via Onlinestudium an der Falmouth University in Cornwall. Aufklärung, so die Expertin, ist der einzige Schlüssel dafür, mehr kreislauffähige Praktiken in der Modewelt zu etablieren. Was hinter den speziellen Design-Tools steckt, die sie dafür entwickelt hat und wie eine Modeutopie der Zukunft aussehen könnte, verrät sie im Interview.

Wann in deinem Werdegang hast du gemerkt, dass wir die Art und Weise, wie wir Mode produzieren und konsumieren, ändern müssen?

Von Anfang an. Ich kam relativ schnell zur Erkenntnis, dass Design nicht nur ästhetisch ansprechend sein muss, sondern der Produktionsprozess an sich positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben sollte. Zusammenarbeiten mit sozialen Institutionen haben dann vor allem mein Verständnis für kulturelle Integration im Designprozess erweitert. Ein Aspekt, der für mich seitdem von großem Wert ist.

Sabine Lettmann portrait

Sabine Lettmann © Asia Werbel photography


Wie kann man kulturelle Integration fördern?

Durch gezielte Gestaltungsformen. Gerade die Kreativindustrie bietet große Chancen auf interkulturelle Kommunikation und kulturellen Austausch, der über sprachliche Grenzen hinweggeht. Wir sollten Integrationswege nutzen, die außerhalb der klassischen Formen wie Sprachkurse etc. liegen und für viele Personen große Hürden darstellen.

Wie integrierst du das Thema „Circular Fashion“ in deine Arbeit?

Es geht mir nicht nur um die Auswahl von Materialien, die einen geschlossenen Kreislauf ermöglichen, sondern viel mehr um die komplette Reflektion von Entscheidungen. Das beginnt schon mit der Materialauswahl, die letztlich in einen geschlossenen Kreislauf zurückgeführt werden kann. Dazu gehören aber auch anderen Formen der Kommunikation oder die Einbindung der Kundschaft. Du siehst: Es ist eine sehr umfangreiche Transformation, die das Modedesign hinlegen muss. Mit vielen Facetten. Allerdings, wenn man die Komplexität des Systems Modeindustrie bedenkt, dann brauchen wir diese intensive Auseinandersetzung einfach, wenn wir etwas verändern wollen.

Um das einfacher zu machen, hast du die Circular Design Cards entworfen. Kannst du uns dieses Tool kurz erklären?

Es sind Karten, die alle Schritte im Designablauf abdecken. Also auch den Vertrieb, Kommunikation, Business Development und die zukünftige Ausrichtung, die das Label haben soll. Sie sind farbkodiert und dadurch leicht zu identifizieren, obwohl es insgesamt 110 einzelne Karten sind, durch die man sich durcharbeiten muss. Schritt für Schritt entwickelt man beim Durchlesen die notwendige Aufmerksamkeit, um für einen geschlossenen Kreislauf zu designen. Es geht um Wissensvermittlung durch spielerische Prozesse. Sie helfen aber auch bei Fragen wie: Welche Vision habe ich für mein Label und wie kommuniziere ich diese? Man lernt, wie schon kleine Entscheidungen in der Wertschöpfungskette einen geschlossenen Kreislauf entweder ermöglichen oder ihn verhindern. Im Laufe der Zeit sollen diese zirkulären Designentscheidungen dann ganz natürlich ablaufen und die traditionellen linearen Strukturen ersetzen. Das Mindset ändert sich und das ist das wichtigste.

circular design cards by Sabine Lettmann

© Aldo Heubel: Circular Design Cards by Sabine Lettmann. Aktuell wird noch an einer begleitenden Publikation gearbeitet. Anschließend kommt das neue Design-Tool in den Handel.


Wie unterscheidet sich so ein zirkuläres Mindset von den Dingen, die man in Modeinstituten lehrt?

Leider ist die traditionelle Designausbildung vielerorts nach wie vor auf Ästhetik ausgelegt und vernachlässigt die Verantwortung, die Designer*innen für die Gesellschaft tragen. Diese Lücke versuche ich - mit den Karten, aber auch mit meiner täglichen Arbeit - zu füllen. Ich will die notwendigen Skills vermitteln.

Welche Tipps würdest du Designer*innen geben, um auf dem neuesten Stand in Sachen Circular Fashion zu bleiben?

Lesen, um die Ecke denken und testen! Mit zunehmenden Gesetzesänderungen ist es auf der Geschäftsseite sowieso unabdingbar, dass man sich informiert und neue Vorschriften aktiv umsetzt. Grundsätzlich sollte natürlich niemand hinter der Zeit hängen, Design hat ja auch immer etwas mit Innovation zu tun. Das kann aber nur passieren, wenn man versucht, eigene Strategien zu verbessern.

Wie setzt du das selbst um?

Für mich ist Design nicht statisch, sondern ein kontinuierlicher Prozess, den man jederzeit optimieren sollte. Oft hilft die einfache Frage: Wer profitiert eigentlich von einem Design – bin nur ich das als Designerin oder gibt es noch weitere Möglichkeiten, positiven Einfluss zu bewirken? Testen ist für mich ebenfalls ein großer Schritt zur Verbesserung des Status Quo. Keiner wird von jetzt auf gleich Profi im Erstellen von Zero-Waste-Schnitten und nicht alle alternativen Vertriebsideen lassen sich gleich umsetzen. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, ein Business zu führen, das finanziell stabil ist und dabei verantwortungsvoll mit Ressourcen oder dem ökologischen Fußabdruck umgeht. Trotzdem sollte man sämtliche Prozesse kontinuierlich im Sinne der Kreislauffähigkeit hinterfragen.

Wie würde eine klimafreundliche Modewelt der Zukunft für dich aussehen?

In meinen Augen müssen wir regionale Konzepte entwickeln, die regenerative Landwirtschaft als auch das Rückführen von Kleidungsstücken in einen Materialkreislauf ermöglichen. Durch die langen Strecken und die unausgewogene Machtdynamik zwischen Ländern im globalen Norden und Süden ist die ganze Modeindustrie im Ungleichgewicht. Kapitalismus kann als System in dieser Weise nicht weitergeführt werden, meiner Meinung nach. So etwas wie Shoppingmalls passen da beispielsweise nicht rein, sind sie doch der pure Ausdruck von Konsum. Genauso wie die ständige Verfügbarkeit von immer neuen Styles in Onlineshops. Lokale Produkte hingegen manifestieren lokales Talent und ermöglichen auf vielen Ebenen eine gesündere Form von Mode.

Haben es kleine Labels schwerer, kreislauffähig zu agieren, als große Modekonzerne?

Das sehe ich nicht so pauschal. Natürlich spielt der finanzielle Rahmen eine große Rolle fürs Werbebudget oder die Auswahl von kreislauffähigen Materialen. Allerdings sind große Unternehmen auch viel langsamer, weil sie in lang etablierten Strukturen feststecken. Kleine Unternehmen hingegen sind flexibler, entwickeln oft Ideen, die für große Unternehmen zu radikal sind und können so viel spielerischer neue Wege gehen. Dazu kommt, dass kleinere Labels einen viel besseren Austausch zwischen einzelnen Departments haben. Alle sitzen an einem Tisch und überlegen gemeinsam, wie Nachhaltigkeit ganzheitlich umgesetzt werden kann. Insgesamt brauchen kleine Labels sicherlich wesentlich mehr externe Unterstützung, um ihre Visionen umzusetzen.



Ende September erscheint das Buch Accelerating Sustainability in Fashion, Apparel & Textiles mit einem Text von Sabine Lettmann: Tools and Methodologies. Incorporating sustainability content in fashion, apparel & textiles educational curriculum through facilitating materials
Eine Liste von weiteren Textbeiträgen findet man auf

https://www.sabinelettmann.de/portfolio/


Accelerating Sustainability in Fashion, Apparel and  Textiles

Accelerating Sustainability in Fashion, Apparel & Textiles. London: Routledge.


Das Interview führte Jenni Koutni (16. September 2023)

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