Abfallkolonialismus: Wann haben wir genug?
Berge an Textilmüll verschmutzen Küstenregionen in Chile und Afrika, gleichzeitig soll der Konsum von Kleidung bis zum Jahr 2030 um 63% ansteigen. Warum wir unser Kaufverhalten nicht nur überdenken sollten, sondern in Zukunft auch müssen.
15 Millionen Kleidungsstücke erreichen jede Woche den Kantamanto-Markt in Accra, Ghana. Obroni w’awu, also wortwörtlich dead white man’s clothes nennt man hier die Ware, die aus den Altkleidercontainern Nordamerikas, Chinas und Europas stammt. Als einer der weltweit größten Märkte für Secondhand-Kleidung war der Kantamanto einst ein florierendes Zentrum für Wiederverkauf, Reparatur und Upcycling. Rentabel ist das Geschäft mit Altkleidung aber schon lange nicht mehr und das aus einem Grund: Wir konsumieren zu viel zu billige Kleidung. Während die Menge an Altkleidern stetig zunimmt, wird deren Qualität immer schlechter. Schätzungsweise 40 Prozent aller Kleidungsstücke, die hier ankommen, sind wertloser Müll. Einzelhändler*innen generieren dadurch immer weniger Gewinn, Reinigung und Reparatur ist bei Fast-Fashion-Ware kaum rentabel. Dass Textilabfälle Mülldeponien überfluten und Küstenlinie verschmutzen, ist neben Accra auch in der Atacama-Wüste in Chile zu beobachten. Der weltweite Handel mit Secondhand-Kleidung hat sich zu einer Abfallentsorgungsstrategie der Fast Fashion Industrie entwickelt. Das wirft natürlich Fragen über unseren Modekonsum auf.
Unser Konsum in Zahlen
Neben Fast Fashion ist Overconsumption das Wort, das im Dialog rund ums Klima gerade am häufigsten fällt. Denn auch, wenn nachhaltige Materialien, Trends wie Minimalismus oder Hashtags wie #decluttering immer wieder trenden, ist es die schiere Masse an Kleidung, die zum Problem wird. Allein die Produktion von Polyester stieg von 20 Millionen Tonnen im Jahr 2000 auf 60 Million Tonnen im Jahr 2018 und wird voraussichtlich bis 2030 auf bis zu 90 Millionen Tonnen ansteigen. Eine wissenschaftliche Erhebung von 2015 ergab, dass diese Kunstfaser in einem Jahr über 700 Million Tonnen CO2 verursacht. Ein aktueller Report legt sogar nahe, dass der Konsum von Kleidung und Schuhen bis zum Jahr 2030 um 63% ansteigen wird. Die Auswirkungen davon wären fatal, sorgt die Modeindustrie doch jetzt schon für mehr Emissionen als Flugverkehr und Schifffahrt zusammen.
Wir müssen unseren Textilkonsum neu überdenken. Doch worauf gilt es zu achten? „Es ist uns besonders wichtig, für fachlich versierten Austausch innerhalb der Branche zu sorgen und Zukunftsthemen zu diskutieren, gleichzeitig aber auch einen Blick hinter die Kulissen dieser Industrie zu bieten, die für so viel Leid und Zerstörung verantwortlich ist, mit der wir aber alle zwangsläufig täglich konfrontiert sind“, sagt Nunu Kaller dazu. Die Nachhaltigkeitsexpertin hat nicht nur bereits eine einjährige Shoppingpause absolviert und drei Bücher zum Thema Modekonsum verfasst, sondern zeichnet auch für das Programm der aktuellen Ausgabe der Österreichischen Konsumdialoge verantwortlich, die Ende Juni 2023 in Hallein stattfinden. „Wir setzen drei große thematische Scheinwerfer: Wie steht es um die heimische Textilindustrie, was sind technologische Lösungen am Weg zu umweltverträglichen und fair produzierten Textilien, und was berichten Menschen aus Produktionsländern.“
Ein Dialog über Konsum
Gibt es einen Weg, weg von Fast Fashion? Wie geht man mit immer wichtiger werdenden Themen wie Recycling um? Wer erzeugt unsere Textilien und wo landet unsere Altkleidung? Diese und weitere Fragen diskutieren über 50 Expert*innen, Aktivist*innen sowie Vertreter*innen aus Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam mit allen Interessierten von 29. Juni bis 1. Juli bei den Österreichischen Konsumdialogen: Textilien in der Modeschule Hallein. „Von der Stofferzeugung in Asien über die Verarbeitung der Textilien in Südosteuropa bis hin zur Deponierung in Chiles Wüste zeigen wir den gesamten Kreislauf – mit noch nie präsentierten Daten und Fakten“, erzählt Veronika Bohrn Mena, Vorsitzende der gemeinnützigen Bundesstiftung COMÚN, die diese bundesweit größte kostenfrei zugängliche Veranstaltung ihrer Art initiierte. Eingerahmt werden die Diskussionen von einem vielseitigen Programm, bestehend aus Workshops, Showrooms, einem Kleidertauschmarkt sowie einer Vorführung der Dokumentation The True Cost.Für Bohrn Mena stellten sich Fragen zum Thema Modekonsum schon ziemlich früh: „Als Teenagerin ging mir mein überquellender Kleiderschrank auf die Nerven. Ich war so überfordert mit all dem Zeug, dass ich erst recht nichts zum Anziehen fand. Heute denke ich: Weniger ja, aber man muss nicht gleich à la Marie Kondo alles auf sieben Kleidungsstücke runterschrauben - es gibt eine gesunde Mischung.“ Durch ihre Arbeit bei COMÚN weiß sie um die sozialen Aspekte unseres Modekonsums Bescheid. „Im Zuge der Konsumdialoge wurde mir aber erst bewusst, wie verheerend die ökologischen Auswirkungen sind. Man muss sich vorstellen: Die Hälfte der Kleidung, die in Afrika, Chile oder Indien an den Stränden landet, ist unverkauft. Fabrikneue Ware wird also direkt auf die Müllhalde geliefert, der Großteil davon Polyester.“
Die chilenische Soziologin und Aktivistin Beatriz O’Brien, eine der Speaker*innen des Events, analysierte über mehrere Monate hinweg den Textilmüll in der Atacama-Wüste und stellt ihre Erkenntnisse erstmals dem Publikum vor. „Die schrecklichen Bilder der Müllberge in der Wüste sind ja bereits seit zwei Jahren bekannt, aber das ist die erste Studie mit genauen Daten. Auf die Ergebnisse sind wir alle schon sehr gespannt“, so Bohrn Mena. Fest steht allerdings schon jetzt, dass der Großteil des Textilmülls aus spottbilliger Ware von Fast-Fashion-Konzernen besteht.
Ich kaufe, also bin ich
Dem extremen Überangebot an Kleidung kommt man also selbst als fleißige*r Konsument*in nicht mehr nach. Was nicht verkauft wird, wird zum Müll und was gekauft wird, landet innerhalb kürzester Zeit ebenfalls dort. Wie kann man diesem Kreislauf also entkommen? Viele sehen die Lösung darin, lieber hochwertige, langlebigere Mode bei kleineren Fair Fashion Labels zu kaufen. Ein sinnvoller Ansatz, der aber jene Gesellschaftsschichten ausschließt, die sich die hochpreisigere Ware schlicht nicht leisten können. Auch Menschen mit Kleidergrößen jenseits der 42 haben es im Fair Fashion Sortiment immer noch sehr schwer.
Zum Thema „Kann sich jeder nachhaltige Mode leisten?“ kommen während der Konsumdialoge daher heimische Designerinnen zu Wort, die sich mit Lösungsansätzen auseinandersetzten, darunter Cornelia Lindner von Consches oder Sophie Pollak von WeBandits. In der Podiumsdiskussion „Grenzen der Nachhaltigkeit und ihre Überwindung“ stellt man sich wiederum gemeinsam der schwierigen Frage: Ab wann wird eine Produktion überhaupt unnachhaltig? Unternehmer*innen berichten, welche Stolpersteine sie am Weg zu mehr Nachhaltigkeit erst aus dem Weg räumen mussten, darunter Christine Chlench vom deutschen Plus-Size-Label Chlench Fashion und Mona Heiß vom Unterwäschelabel Under the Hours.
Was können wir anders machen?
Weniger zu kaufen, wäre wohl eine logische Antwort, aber auch eine unrealistische. Einen, in einer kapitalistisch geprägten Welt quasi von Geburt an erlernten Drang zum Kaufen wird man nur schwer wieder los. Die Veranstalterinnen der Konsumdialoge setzen daher auch dort an, wo Konsum noch keinen großen Stellenwert besitzt: bei der Jugend. „Nachhaltige Designstrategien stehen seit Jahren im Fokus unserer Ausbildungszweige und in unseren Fashion Shows spürt man das ganz stark“, erzählt Andrea Luckart, Leiterin der Modeschule Hallein, dem Veranstaltungsort der Konsumdialoge. Events wie dieses sieht sie als große Chance für Umweltdiskussionen zwischen mehreren Generationen auf Augenhöhe. „Wir haben noch kurzfristig etwas improvisiert, um sogar die kleinsten Schüler*innen einzubinden. Wir werden gemeinsam auf großen Webstühlen experimentieren, verweben alte Kleidungsstücke und Dinge, die wir in der Natur finden. So können die Kinder spielerisch einen Zusammenhang herstellen zwischen Mode, Materialien und ihrer Herstellungsweise“, so Luckert. Buy less, choose well and make it last
Im Zuge des Events werden außerdem die Gewinner*innen der Vivienne gekürt, Österreichs erstem Preis für ökologische Textilien. Der Preis, eine Co-Produktion der Stiftung COMÙN und des Klimaschutzministeriums, ist mit insgesamt 8.500 Euro dotiert und wird von Bundesministerin Leonore Gewessler übergeben. Benannt nach der Mode-Pionierin in Sachen Klimaschutz Vivienne Westwood soll der Textilpreis heimische Vorzeigebeispiele für faire und nachhaltige Textilproduktion ins Rampenlicht holen und als Aufklärungsplattform dienen. Denn das Motto der Modeikone, so simpel es auch klingen mag, enthält die Essenz dessen, wie unser Konsum in Zukunft aussehen muss: Buy less, choose well and make it last.Wer bei den Konsumdialogen nicht vor Ort sein kann: Autorin und Aktivistin Beatrice Frasl wird aus Gesprächen mit Besucher*innen des Events als auch mit einigen Vortragenden einen Podcast produzieren.
Konsumdialoge: Textilien
VIVIENNE: Österreichischer Preis für ökologische Textilien
Stiftung COMÚN
29. Juni bis 1. Juli 2023 in Hallein bei Salzburg
Text: Jenni Koutni (28. Juni 2023)