Andrea Mayr-Stalder: Anders Sticken
Do It Yourself beschränkt sich schon lange nicht mehr auf analoges Handarbeiten. DYI ist jetzt digital. Gemeinschaftlich genutzte Labors und Werkstätten, sogenannte Fab Labs oder Maker Spaces ermöglichen das Gestalten mit 3D-Druckern, Laser-Cuttern oder CNC-Fräsen. Digitale Stickmaschinen finden sich darunter manchmal auch schon. Und doch ist es noch gar nicht so lange bekannt, dass sich Stickmuster abseits von Blümchen und Schmetterlingen mittels Open Source auch ganz anders und ungewohnt frei gestalten lassen. Eine Pionierin auf diesem Gebiet ist Andrea Mayr-Stalder. Michaela Amort sprach mit ihr für austrianfashion.net über ihr Projekt STITCHCODE.
Du arbeitest seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Medienkunst, Open Source Software und Bildung. Wie bist du aufs Sticken gekommen?
Mayr-Stalder: Ich habe schon in meinen Teenagerjahren wahnsinnig viel genäht und bin stundenlang vor der Nähmaschine und vor Stoffen gesessen und habe damit gearbeitet. Später bin ich dann vom Textilen weg in den Medienbereich gegangen und habe mich mit Video und 3D-Animation befasst. Also mit der Gestaltung über verschiedene Arten der Datenverarbeitung. Genau das – beides zusammen – umfasst auch wiederum das Maschinen-Sticken.
Vor etwa zehn Jahren bin ich auf diese Stick-Maschinen gekommen, die an und für sich voll funktionsfähige PCs sind. Auf einer Maschine, die ich kürzlich gekauft habe, steht sogar Personal Embroidery System drauf. Und das trifft es ja recht gut.
Was fasziniert dich am Sticken mit dem Computer?
Mayr-Stalder: Das Faszinierende daran sind die vielen verschiedenen Ebenen, die beim Maschinen-Sticken einfließen können. Das beginnt bei der Erstellung der Vorlagen und Muster, wo es wiederum unterschiedlichste Möglichkeiten gibt. Ich finde gerne neue Zugänge und habe mich dabei – vielleicht durch meine Medienausbildung – mehr von der Informatik-Seite her genähert und erst weniger an der Oberfläche orientiert.
Und dann ist da natürlich der Umgang mit den verschiedenen textilen Komponenten, der sehr spannend sein kann: wie man die Stoffe mit den unterschiedlichen Garnen kombiniert, welche Effekte sich dadurch ergeben, wie man etwas anderes als die konventionellen Ausarbeitungen erzeugen kann.
Wie lassen sich neue Zugänge finden?
Mayr-Stalder: Anfangs habe ich mit Hexadezimal Programmierung (Binärcode, eine sehr
tiefe Programmierebene, Anm.) gearbeitet, es war sehr spannend zu sehen,
ob und wie das überhaupt von der Maschine interpretiert wird, ein Trial
and Error Ansatz also. Wir waren unglaublich hingerissen von den
Ergebnissen, weil das eine ganz neue Art von Gestaltung war. Das war
2008 in Rahmen eines Projektes mit der Modedesignerin Raphaela Grundnigg, ist also schon einige Jahre her.
Ein Stickmuster besteht im Grunde genommen ja aus einer Linie, einem
Faden, der nach unterschiedlichen Richtungen gezogen und am Stoff
verankert wird. Und der Code ist nichts anderes als die Definition
dieses Fadenlaufes.
Was kann man derzeit auf der STITCHCODE Website machen?
Mayr-Stalder: STITCHCODE ermöglicht etwas online zu gestalten und als Stick-File
(digitale Stickdatei) am Computer abzuspeichern. Dafür stellen wir – der
Medienkünstler und Programmierer Michael Aschauer unterstützt mich seit
langem dabei – verschiedene Interfaces zur Verfügung. So gibt es zum
Beispiel ein ganz simples Zeichen-Tool, mit dem man einfach mit der
Mouse Stickvorlagen anfertigen kann. Die meiste Arbeit fließt derzeit
allerdings in TurtleStitch.
Was ist TurtleStitch?
Mayr-Stalder: Mit TurtleStitch können erstmals Schülerinnen und Schüler (ab Sekundarstufe 1) intuitiv programmieren lernen und als Ergebnis ein konkretes textiles Design erhalten. Über die Gestaltung kommen sie spielerisch zum Programmieren. Bei TurtleStitch handelt sich um ein Open Source Online-Tool, das auf einer in Berkeley und am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelten grafischen Programmier-Lernumgebung basiert. Wir entwickeln das Tool derzeit weiter mit Ziel, es extrem niederschwellig und einfach für die Lehre einsetzbar zu machen. Da fließen auch meine Erfahrungen aus ersten Workshops an einer Neuen Mittelschule und an der Textilklasse der Angewandten mit ein, die unglaublich spannend und bereichernd sind und wertvolles Feedback liefern.
Letzenendes hoffe ich auch etwas zur Informatik-Ausbildung beitragen zu können, die ja leider an den meisten Schulen viel zu kurz kommt. Zweites Ziel von TurtleStitch ist deshalb auch die Entwicklung eines fundierten Workshop-Konzeptes. Glücklicherweise haben wir für TurtleStitch von der Internet Foundation Austria eine netidee Förderung bekommen.
Wie geht es dann mit den digitalen Stickmustern weiter?
Mayr-Stalder: Die Stick-Files lassen sich entweder in eine Stickmaschine hineinfüttern oder auch als Grundlage für eine weitere Bearbeitung verwenden. In meinen Workshops bringe ich üblicher Weise meine eigene Stickmaschine mit. Die einzige kreative Einschränkung ergibt sich durch den Stickrahmen, in den der Stoff eingespannt wird. Die Dimension beträgt rund 25x20 Zentimeter, größere Stick-Kompositionen lassen sich aber durch Versetzen und sequentielles Arbeiten erzielen, was nicht ganz einfach ist. Wirklich großformatige Maschinen sind sehr kostspielig und finden sich nur in der Industrie. Ins Großformat zu gehen, wäre natürlich eine tolle Sache, das würde auch viele KünstlerInnen sehr interessieren.
Traditionelles, handwerkliches Sticken wird ja eher mit einer biedermeierlichen, weiblich konnotierten Privatheit verbunden - wie ist das beim Sticken mithilfe des Computers?
Mayr-Stalder: Eine Parallele liegt vielleicht im Handwerklichen, sich im Häuslichen ein bisschen zurückziehen zu können und darauf zu konzentrieren etwas anzufertigen, das einem am Herzen liegt. Das empfinde ich als etwas sehr Positives. Allerdings ist das nur ein kleiner Bereich im Projekt, das derzeit sehr Code-lastig ist, denn es ist ja inzwischen auch eine über das Internet frei zugängliche Software geworden. Wir arbeiten in der jetzigen Phase auch viel am User-Interface, um die Benutzung zu verbessern. Da ist die Interaktion mit den NutzerInnen wesentlich. Und die Art von Häuslichkeit gibt es ja dank Vernetzung ohnehin nicht mehr.
Text & Interview: Michaela Amort
Alle Bilder © Andrea Mayr-Stalder
(Archiv 2014)
Andrea Mayr-Stalder ist Absolventin der Visuellen Mediengestaltung (Universität für angewandte Kunst in Wien) und arbeitet an künstlerischen und bildungsbezogenen Internet-Projekten auf Open Source Basis. Seit 2014 widmet sie sich gemeinsam Michael Aschauer dem Projekt STITCHCODE. Workshops auf Anfrage über die Homepage.