Arthur Arbesser: Mode sollte immer eine gewisse Leichtigkeit haben
Die Kindheit des erfolgreichen Wiener Modedesigners Arthur Arbesser war stets von Kultur geprägt: Gotische Kirchen, barocke Schlösser, Theaterstücke und Opern. Letztere führten ihn schließlich zur Mode. Er besuchte das renommierte Central Saint Martins College of Art and Design in London und startete danach seine Karriere in Mailand. Hier treibt er heute seine eigene Linie voran und verantwortet als Creative Direktor die Kollektion Fay. Austrianfashion.net hat ihn in Mailand in seinem Atelier besucht.
Du hast eine große Liebe zur Oper und bezeichnest dich selbst als Opern-Nerd. Jetzt designst du auch Opernkostüme.
Theater und Oper haben mich schon immer fasziniert. Ich finde, dass ein Charakter oder eine Rolle nicht nur durch den Darsteller getragen werden sollte, sondern auch durch das Kostüm. Ich habe schon die Kostüme für die Ballettvorführung zum letzten Neujahrkonzert entworfen. Jetzt haben sich noch weitere Möglichkeiten im Kostümbild aufgetan. Ich habe die Kostüme für den Rosenkavalier entworfen, der am 09.02.2020 an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin zu sehen sein wird und gestalte auch die Kostüme für Aufführungen in der Staatsoper München, die 2021 zu erwarten sind.Worin unterscheidet sich deine Herangehensweise im Kostümdesign von jener im Modedesign?
Im Kostümdesign muss ich sehr auf die Rollen eingehen – und das Wesen und den Körperbau der Darsteller einbeziehen. Am wichtigsten sind mir aber Schönheit und Ästhetik – und das sowohl in der Mode als auch im Kostüm. Ich will nicht auf Biegen und Brechen provozieren und schockieren. Es soll ein ästhetisches Erlebnis sein.
Wieviel von Arthur Arbesser findet man dann letztendlich in den Kostümen?
Die, die mich gut kennen, werden viel von mir entdecken. Ich habe bewusst einige Stoffe aus alten Arthur Arbesser Kollektionen eingearbeitet. Andere werden erkennen, dass ich sehr auf die Handlung und die Vision des Regisseurs eingegangen bin. Im Rosenkavalier ist dies André Heller, eine wahrhaft große Persönlichkeit. Da das Stück im Wien von 1915 spielt, haben die Kostüme aber auch sehr viel mit mir zu tun. Die Ästhetik und die graphischen Muster des Jugendstils liegen ganz in meinem Naturell.Und wie ist die Zusammenarbeit mit Herrn Heller?
Super! André Heller ist ein ganz besonderer Mensch. Er hat eine ganz eigene Art die Dinge zu sehen und auf andere Menschen zuzugehen. Die Harmonie im Team ist ihm sehr wichtig. Jeder Einzelne soll glänzen können.Für das Bühnenbild ist die österreichische Malerin Xenia Hausner verantwortlich. Ein rein österreichisches Team also. Macht die gemeinsame Herkunft die Zusammenarbeit einfacher?
Uns verbindet ein gewisser Humor und eine gewisse Art zu kommunizieren. Das macht es natürlich einfacher. Das Stück spielt in Wien und es geht um die Wiener Gesellschaft. Da verstehen wir uns beinahe blind.Auch in deiner H/W Kollektion 2017/18 gibt es eine Österreich-Referenz. Du beziehst dich auf das Gedicht Das Lied vom Kindsein von Peter Handke, das auch als Leitmotiv von Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin, gilt. Bist du ein Handke Fan?
Ich mag Menschen, die ihren Standpunkt vertreten und aussprechen, was sie denken. Dabei muss mein Standpunkt aber nicht unbedingt deckungsgleich sein. Ich selbst provoziere nicht gern. In meiner Kollektion geht es übrigens nicht nur um das Lied, sondern auch um den Film Der Himmel über Berlin, um die berlinspezifische Ästhetik jener Zeit und um eine Vermischung von Traum und Realität.
Lass uns über deine Anfänge sprechen. Nach deinem Design-Studium an der Central Saint Martins in London und sieben Jahren im Design Department Women's Wear bei Giorgio Armani in Mailand, hast du zu Weihnachten 2012 gekündigt. Wann hast du gespürt, dass der richtige Zeitpunkt für eine eigene Kollektion gekommen war?
Ich habe großen Respekt für Giorgio Armani - als Mann und als Designer und habe sehr viel über den Produktionsprozess bei ihm gelernt. Es war sehr spannend, Herrn Armani bei der Stoffauswahl zu beobachten. Ich war aber mit der Ästhetik und dem Resultat schon bald nicht mehr zufrieden, weil ich mich nicht darin gesehen habe. Während der Fahrt zur Arbeit habe ich mir ausgemalt, wie ich dies und jenes anders machen würde. Mit 30 fand ich dann endlich den Mut zu kündigen. Giorgios Nichte Silvana Armani hat mich verstanden und mich bekräftigt, mein eigenes Ding zu machen.Hattest du Zweifel?
Oh ja! Ich war geplagt von Zweifel. Ich glaube, dass fast alle kreativen Menschen in Zweifel leben. Ich habe heute fast noch mehr Zweifel als damals bei meiner Kündigung. Am Anfang schwebt man auf einem High und denkt, dass einem die Welt gehört. Bis plötzlich eine Lawine von Rechnungen kommt, die man bezahlen muss. Die Produktion einer Kollektion bedarf vieler Dinge und kostet Zeit, Geld - und Verbindungen. Ich glaube, der Aufwand ist kaum jemandem bewusst.Im Februar 2014 hast du deine zweite Arthur Arbesser H/W 2014/15 Kollektion in der Wohnung eines Freundes, dem Architekten Luca Cipelletti in Mailand präsentiert. Eine Verknüpfung von Mode, Architektur und Kunst.
Mailand ist stets eine Entdeckungsreise. Hinter jeder verschlossenen Tür und hinter jeder Fassade kann sich ein architektonischer Schatz verbergen. Damals wollte ich der Presse, den Einkäufern und den anderen Besuchern meiner Präsentation eine besondere Wohnung zeigen. Bei einem Abendessen habe ich einfach mal in die Runde gefragt und da hat Luca, den ich damals nur flüchtig kannte, gesagt, dass ich mal bei ihm vorbeischauen solle. Es war wie eine Fügung. Die Wohnung war voll von meinen Referenzen: Möbelklassiker von Ettore Sottsass und Gio Ponti, Skulpturen und Keramiken von Fausto Melotti und Fotos von Ugo Mulas. Meine Kollektion und die Wohnung bildeten eine Harmonie. Die Modekritikerin Suzy Menkes ist gekommen, veröffentlichte einen Artikel in der Herald Tribune und promotete meine Kollektion bei Kollegen. Eigentlich war nur ein Tag geplant, aber die Reaktionen waren so bombastisch, dass wir die ganze Woche offen hielten. Es war absurd und sehr lustig.
Ein lobender Artikel und Mundpropaganda von Suzy Menkes kommen einem Ritterschlag gleich.
Sie war schon in der Jury von Who is on Next und kannte mich schon. Ich habe mich sehr über ihr Kommen gefreut und offenbar fand sie alles stimmig. Sie hat den Stein so richtig ins Rollen gebracht.2015 warst du neben Virgil Abloh, Jaquemus und Vetements im Finale des prestigereichen LVMH Preises. Wie hat sich das auf deine Karriere ausgewirkt?
Rückblickend waren es sicher die besten Teilnehmer, die LVMH je hatte. Alle sind heute erfolgreich. Es waren Labels, die völlig neue Netzwerke hinter sich hatten. Vetements war eine coole Posse, die gemeinsam abhängte und Kanye West unterstützte Virgil beim Bügeln. Ich hatte meine hochschwangere Pariser Bekannte mitgebracht, die mir am Stand half. Am Ende wollten alle zu meinen Modeschauen und Präsentationen in Mailand kommen.Seit September 2017 bist du der neue Creative Director von Fay. Wie unterscheidet sich die Arbeit an deiner eigenen Kollektion von jener für Fay?
Fay ist ein richtiges Produkt und eine spannende Aufgabe, die ich gut neben meiner eigenen Kollektion meistern kann. Die Visionen sind sehr unterschiedlich. Ich war zuvor kurz Creative Director bei Iceberg. Da war das anders: Die Eigentümer wollten maximale Kreativität und ich kam ins Strudeln, weil sich das zu stark mit meiner Welt überschnitten hat. Bei Fay muss ich viel rationaler denken als bei meiner eigenen Kollektion. Es geht viel mehr um das echte Leben und die echten Momente, in denen diese Kleider getragen werden. Bei Arthur Arbesser geht es indessen um das Erzählen einer Geschichte, um das Erzeugen von Emotionen.Und welche Seite von Arthur Arbesser will Fay haben?
Ich habe einen etwas konservativen Stil: Bei mir kaufen 80-jährige Frauen genauso wie 20-jährige. Ich habe Verständnis für Kunden und kann mich gut in sie hineinversetzen. Mein Stil und meine Jahre bei Armani haben sicher geholfen. Bei Fay ging es aber vor allem darum, die Marke aufzufrischen.Auf der Website von Fay findet man dein Zitat: Fay ist eine Brand mit Identität, Klasse und Geschichte. Ich finde die Arbeit wirklich aufregend und bin zuversichtlich, dass dies der Anfang einer neuen und spannenden Reise sein wird. Wo hat dich diese Reise hingeführt?
Ich habe viel über mich selbst, über den Markt und das Kaufverhalten von Kunden gelernt. Es war schön, frischen Wind hineinzubringen ohne die Werte der Marke, die einen definierten Kunden und eine klare Message hat, zu verleugnen. Ich hatte nicht das Bedürfnis, alles auf den Kopf zu stellen.
Fay entstand im Italien der 1960er Jahre. Welchen Anforderungen muss sich die Marke heute stellen?
Neben dem Geschäftsmann mittleren Alters muss auch eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden. Die nachkommende Generation fordert mehr Coolness - mit robusteren Materialien und größeren und weiteren Volumina. Klassische Elemente wie der Karabinerhaken können einer Jacke viel Charakter verleihen. Das kann dazu führen, dass sie für den Wirtschaftsberater aus Brescia zu modisch ist, für den jungen Architekten aus Mailand aber perfekt. Mission erfüllt!Ein großes Thema in der Mode ist Nachhaltigkeit. Du hast im Sommer für Vöslauer eine Tasche aus 100% rePET Material kreiert und gesagt, dass Nachhaltigkeit ein State of Mind werden sollte und wahrer Luxus auch Nachhaltigkeit bedeute. Denkst du, dass wirklich nachhaltige Mode überhaupt möglich ist?
Aufgabe der Designer ist es, zeitlosere und ökologischere Materialien zu verwenden. Außerdem sollte die Quantität der Kollektionen einer neuen Qualität weichen. Als Nischenmarke sind wir davon weniger betroffen. Wir müssen nicht monatlich zahlreiche Geschäfte mit neuer Ware füllen. Wir handeln auch schon nachhaltiger, indem wir in älteren Kollektionen verarbeitete Stoffe wieder verwenden. Außerdem kooperieren wir auch mit kleineren Manufakturen, wie zuletzt einem kleinen Familienunternehmen in Tirol, das handgemachten Loden herstellt. Vor allem ist aber ein Umdenken seitens der Konsumenten notwendig. Ihnen sollte bewusst werden, dass bessere Materialien auch einen höheren Preis haben. Sie sollten weniger und bessere Kleidung kaufen und diese länger tragen.Du unterrichtest auch an der Università Iuav di Venezia (IUAV) Fashion Design und begleitest die Studierenden bei der Erstellung ihrer Abschlusskollektion. Versuchst du sie auch auf Nachhaltigkeit zu sensibilisieren?
Für meine Studenten und Studentinnen ist es wichtig zu wissen, wie und woraus ein Material gemacht wird. Wenn ich sie anleite, geschieht das auf eine relativ natürliche Art, weil 22-Jährige heute sicher mehr an Nachhaltigkeit interessiert sind, als 40-Jährige.Was hat sich seit deiner Studienzeit an der Situation der Modestudierenden verändert?
Zu meiner Zeit war das Studium freier, lustiger und unbeschwerter. Die Generation der etwa 20-Jährigen ist mit vielen Problemen konfrontiert und fühlt sich von den Sozialen Netzwerken unter Druck gesetzt. Die Mode ist mit sehr viel negativeren Gedanken behaftet, als zu meiner Zeit. In manchen Abschlusskollektionen beobachte ich auch Themen wie Melancholie und Schmerz. Das zeigt, dass die Studierenden achtsam sind und das Weltgeschehen verfolgen. Mode sollte in meinen Augen aber trotzdem immer eine gewisse Leichtigkeit haben. Man sollte Freude daran haben.
In Wien erhältlich bei:
NACHBARIN
Gumpendorfer Strasse 17 - 1060 Wien
Interview: Patrick Taschler (29.11.2019)
Patrick Taschler arbeitet nach einem Modestudium am Istituto Europeo
di Design als freier Journalist und Runway-Reporter. Seine Texte
erschienen in Brigitte Young Miss (BYM), GQ.com Deutschland,
Pool-Magazin und SZ-Magazin.