COVID-19 Krise könnte auch positiv auf die Gesellschaft wirken
Die COVID-19 Krise stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Selbstisolation diktiert einen neuen Lebensstil, in dem Konsum zunächst nur noch digital möglich ist. Die Wirtschaft und vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen leiden. Zukunftsforscher hoffen auf positive Nebeneffekte.
Einbrechender Absatzmarkt
Die ersten, die von der COVID-19 Krise betroffen waren, waren die globalen Luxusmodekonzerne. Nach Russland war China der neue emerging market. 2019 wurden in China oder von chinesischen Touristen im Ausland 35 Prozent der weltweiten Luxuseinkäufe getätigt (Quelle: Bain & Company). 2020 war die Frequenz in den Einkaufsstraßen der chinesischen Metropolen schon Anfang Februar zum Erliegen gekommen und viele Labels schlossen ihre Stores.
In Italien - neben Frankreich führende Luxusmodedestination - brach COVID-19 kurz vor der Fashion Week in Mailand aus. Als der erste Todesfall auftrat, sagte Giorgio Armani seine Show ab und übertrug sie via Livestream im Internet. Mittlerweile ist Italien eines der stärkst betroffen Länder und viele italienische Hersteller haben die Produktion entweder heruntergefahren oder temporär ausgesetzt. Das trifft auch die Lieferketten der größten französischen Modekonzerne Kering und LVMH, die stark von Italien abhängig sind. Aktuell werden die Kollektionen für Herbst/Winter 2020 produziert und die Modeindustrie stellt sich auf langfristige Auswirkungen der COVID-19 Krise ein, die bis 2021 anhalten könnte.
Verzögerungen in der Lieferkette
Händler und Marken im Massenmarkt sind hauptsächlich von chinesischen Produktionen abhängig. Dort gab es durch die COVID-19 Pandemie Lieferverspätungen und Ausfälle bei der Lieferung von Zubehör. Manche Fertigungsbetriebe wurden unter Quarantäne gestellt. Dadurch kam es zu erheblichen Produktionsverzögerungen. Derzeit liegen die Lieferverspätungen für Waren aus Asien bei durchschnittlich 20 Tagen. Das berechnete das auf Supply Chain Management-Software spezialisierte Unternehmen Setlog. Dabei sei der Höhepunkt noch nicht erreicht: Für die Sommermonate werden vereinzelt Verspätungen von bis zu 50 Tagen erwartet.
Eine britische High-Fashion Kette berichtet auf Dezeen aus der aktuellen Realität im Einzelhandel. Um die verlorene Zeit aufzuholen, transportierte der Manager die Kollektion per Luftfracht, statt sie zu verschiffen. Als die Ware in Großbritannien eintraf, waren die Einzelhandelsumsätze durch COVID-19 extrem zurückgegangen.
Lokale Produktion wird denkbar
Die meisten Marken operieren in just-in-time-Lieferketten, das heißt, die Stoffe und das Zubehör treffen dann, ein, wenn sie benötigt werden. Durch die COVID-19 Krise ist die Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben. Brancheninsider sehen bereits einen Corona-Effekt. Sie halten es für möglich, dass Unternehmen wieder auf die konservative Form der Lagerhaltung und lokale Lieferketten zurückkommen. Mit neuen Produktionsmitteln ist es heute tatsächlich möglich, lokal zu produzieren, sagt Jonas Petterson, CEO des schwedischen Design Studios Form Us With Love gegenüber Dezeen.
In vielen europäischen Ländern hat die COVID-19 Krise zum Lockdown geführt. Das heißt, Geschäfte mit nicht lebensnotwendigen Sortimenten mussten auf Anordnung der Bundesregierungen schließen. Vor dieser Situation scheinen die Produktionsverzögerungen noch das geringere Problem. Insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen werden schwere Zeiten vorhergesagt.
Flexibler Handel gefragt
Das britische Retail Technology Unternehmen Edited rät Händlern zu inländischen oder lokalen Zulieferern. Denn nur so ist es möglich, Bestellungen schnell zu reduzieren und wieder zu steigern; so wie es eine erlahmende und wieder anziehende Nachfrage erfordert. Außerdem empfehlen die Experten verstärkt auf den Onlinehandel zu setzen. Vor dem Hintergrund der Epidemie sei allerdings Feingefühl im Marketing angebracht. Ein erstes plausibles Verkaufsargument, ist schon vermehrt aufgetaucht und zwar jenes der Home Office Wear.
Disruptive Kraft der COVID-19 Krise
Die Trendforscherin Lidewij Edelkoort prophezeit der Modeindustrie eine noch nie dagewesene globale Rezession – nicht im monetären Sinn sondern im Hinblick auf die disruptive Kraft der COVID-19 Krise. Gleichzeitig sieht sie darin eine entfesselnde Kraft, welche die Konsummuster nachhaltig ändern werde.
„Plötzlich sehen Modeschauen bizarr und deplatziert aus und Anzeigen von Reiseanbietern werden als invasiv und lächerlich empfunden.“
Es wird viel Einsicht und Mut erfordern eine Wirtschaft mit neuen Werten und einem neuen Zugang zu Produktion, Transport, Vertrieb und Einzelhandel aufzubauen, so Edelkoort. Sie hofft, dass die Akteure die Chance ergreifen und ein anderes und besseres System etablieren. Ein System, das mehr Respekt vor menschlicher Arbeit und menschlichen Bedingungen zeigt.
Respekt vor menschlichen Bedingungen
Schon nach zwei Monaten reduzierten Produktionsbetriebs in China habe sich die Luft über den Industriezentren sichtbar geklärt, weiß die Trendforscherin. Inklusive der Flug- und Schiffsreisen, Urlaubsreisen, Geschäftsreisen und Transporte sei erhebliches Potenzial für einen positiven Umwelteffekt vorhanden.
Edelkoort wünscht sich, dass COVID-19 eine Rückbesinnung zur lokalen Produktion und zum Handwerk bringt und dass dieses auch eine entsprechende Wertschätzung erhält.
„Lokale Industrien und Aktivitäten würden an Schwung gewinnen und von Bürgerinitiativen wie Tauschhandelssysteme, runde Tische, Bauernmärkte und Straßenveranstaltungen, Tanz- und Gesangswettbewerbe sowie eine sehr dominante DIY-Ästhetik würden an die Macht kommen. Meine Zukunftsprognose für das Zeitalter der Amateure scheint viel schneller zu kommen, als ich erwartet habe.“
In der Zwischenzeit in China
Derzeit sind es vor allem große französische Konzerne, die sich in Wohltätigkeit üben und hohe Summen zur Bekämpfung des Coronavirus in China spenden: Kering überwies dem Roten Kreuz in der Provinz Hubei, dem Epizentrum des Ausbruchs, 1,1 Millionen Dollar. LVMH ließ dem chinesischen Roten Kreuz 2,3 Millionen Dollar zukommen. Der weltgrößte Kosmetikhersteller L’Oreal sagte 720.000 Dollar für Hilfsmaßnahmen in China zu.
Aber auch Alibaba, der chinesische Technologieriese, macht sich am Heimmarkt im Kampf gegen das SARS-CoV-2 Virus verdient: Als die Nachfrage nach Atemmasken auf seiner weltweit größten E-Commerce-Seite Taobao in die Höhe schnellte, forderte das Management seine Händler auf, nicht durch Preiserhöhungen von der Covid-19 Krise zu profitieren. Darüberhinaus nutzt der Konzern seine Technologien auch für Hilfeleistungen: Via App für die Lieferung von Lebensmitteln bietet Alibaba finanzielle Unterstützung für Lebensmittelketten, die wegen der COVID-19 Krise nicht mehr tätig sind, sowie Ausgleichszahlungen für Kuriere. Außerdem bietet Alibaba Health den Einwohnern von Hubei kostenlose telemedizinische Beratung an.
COVID-19 Aktionen in Europa
In Europa brachte sich der Konzern durch die Spende von über zwei Millionen Schutzmasken sowie weitere medizinische Hilfsmittel, wie zum Beispiel Testkits ein. Ein Frachtflugzeug, beladen mit der ersten Ladung der gespendeten Vorräte traf bereits am 13. März am Flughafen Lüttich in Belgien ein.
Der französische Luxuskonzern LVMH unterstützt auch sein eigenes Land im Kampf gegen COVID-19. Er stellt seine Produktionslinie um und produziert in seinen Parfümfabriken Gel zur Desinfektion der Hände. Das Desinfektionsmittel soll kostenlos an Gesundheitseinrichtungen in Frankreich ausgeliefert werden.
Mit Oberrauch in Bozen schaffte es aber auch ein Südtiroler Unternehmen, die lokalen Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen: Der Sportbekleidungshersteller und –händler ließ seine Produzenten in China waschbare Schutzmasken und Schutzanzüge produzieren. Über Kontakte seiner chinesischen Partner schaffte er es noch zusätzlich Schutzmasken und –anzüge bereitzustellen.
Italienische Luxuslabels reagieren mit monetären Zuwendungen: Laut Vogue spenden Armani, Bulgari, Gucci, Prada, Sergio Rossi und Versace sechs- und siebenstellige Summen an italienische Forschungs- und Gesundheitseinrichtungen.
Taskforce Schutzmaske in Vorarlberg
In Vorarlberg, wo sich die Textilindustrie seit der Produktionsverlagerung in Billiglohnländer auf technische Textilien spezialisiert hat, schlossen sich mehrere Unternehmen zur Taskforce Schutzmaske zusammen. Mit gebündeltem Know-how will man 8000 Masken pro Tag herstellen:
- Getzner Textil liefert die Stoffe.
- Tecnoplast produziert Kunststoff-Atemventile.
- Die Stickerei Harald Hämmerle stellt mehrlagige Bestandteile hochautomatisiert her.
- Grabher Group führt die Plasma-Hydrophobierung der Masken durch, die verhindert, dass Flüssigkeiten durchdringen können.
- Bandex Textil produziert elastische und nicht-elastische Bänder für Masken.
- Wolford liefert elastische Filtergestricke und übernimmt die Maskenumformung.
- Ölz Meisterbäcker liefert die Verschlussclips als Rollenware.
Der Produktionsbetrieb läuft bereits. Das Projekt wird von Wirtschaftsstandort Vorarlberg (WISTO) und der Smart Textile Plattform koordiniert. Unterstützt werden sie dabei von 80 Änderungsschneidereien, die von Obfrau Christel Sohm-Feuerstein geleitet werden.
Wie Kultur- und Kreativschaffende in Österreich durch die COVID-19 Krise kommen
Die Maßnahmen zur Isolation und Eindämmung des SARS-CoV-2 Virus haben gravierende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Endgültige Entwarnung wird es vermutlich erst geben, wenn ein Medikament und/oder ein Impfstoff gefunden sind. Bis dahin steht besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Kultur- und Kreativschaffenden eine schwere Zeit bevor. Das 38 Milliarden Hilfspaket der Bundesregierung soll die Auswirkungen abfedern. Aber auch Promotion-Aktivitäten von Medienseite sind bereits aufgepoppt. Die folgenden Links sollen eine erste Orientierung geben:
Die österreichische Bundesregierung hat ein Hilfspaket in Höhe von 38 Milliarden Euro beschlossen. Härtefonds für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Einpersonen-Unternehmen (EPU), Familienbetriebe und Selbstständige sind noch in Abstimmung.
Bundesministerium Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. 020. Coronavirus / COVID-19: Unterstützung für Unternehmen. Abgerufen am 19.03.2020.
Informationen für Kunst- und Kulturschaffende
Umfassende Informationen für Kunst- und Kulturschaffende gibt es unter folgendem Link:
Bundesministeriums für Kunst, Kultur , öffentlicher Dienst und Sport. 2020. FAQ: Auswirkungen des Coronavirus auf Kunst und Kultur. Coronavirus. Informations-Service für Kunst- und Kulturschaffende. kunstkultur@bmkoes.gv.at Abgerufen am 19.03.2020.
Tipp: Verschriftlichung
Um die Chance auf Entschädigung zu erhöhen, rät die Creative Region Linz & Upper Austria zur Verschriftlichung: Demnach sollen Absagen und Stornierungen schriftlich gesammelt werden. Vermerkt sein soll sowohl die Höhe der Verlustsumme als auch die Corona-Krise als Grund der Absage oder Stornierung.
Umfrage zu den Auswirkungen der COVID-19 Krise
Messen, Events und Konferenzen wurden abgesagt und den Akteuren ist auf unabsehbare Zeit die Grundlage für Aufträge entzogen. European Creative Business Network (ECBN) startete eine Umfrage um die potenziellen Auswirkungen auf den Sektor erheben und aktuelle Empfehlungen formulieren können.
Medien unterstützen lokale Betriebe
Unterstützungsmaßnahmen von privater Seite
In Wien wurden schon einzelne Unterstützungsmaßnahmen für kleine und mittelständische lokale Unternehmen gestartet. Der Falter sammelt Daten von relevanten und lieferfähigen Online-Shops von Betrieben, die durch die Covid-19 Krise in ihrer Existenz bedroht sind.
Die Wiener Umweltschützerin Nunu Kaller hat auf ihrer Website zum Boykott von Internetriesen wie Amazon aufgerufen. Sie will verhindern, dass „die Krise jetzt Kleine umbringt, während die globalen Riesen weiter wachsen“. Deshalb fordert sie zur Unterstützung von kleinen Läden mit Online-Service vor Ort auf – und veröffentlicht eine Liste auf ihrer Website.
Text: Hildegard Suntinger (21.03.2020)