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© Brigitte Winkler mit Miuccia Prada Miu Miu Paris März 2010

Destination Mode

Im Gespräch mit Brigitte Winkler, Modejournalistin der ersten Stunde. Brigitte Winkler berichtet seit den 1970er Jahren in heimschen Medien über das internationale Modegeschehen. Für AUSTRIANFASHION.NET traf sich Anne Feldkamp mit Brigitte Winkler zum Gespräch.

Lindengasse 52, siebter Wiener Gemeindebezirk. In der Kantine der Wiener Tageszeitung Kurier warte ich auf Brigitte Winkler, Doyenne des österreichischen Modejournalismus. Mit einer Hand voll Papiertragetaschen bepackt kommt sie dann durch die Tür, denn heute Abend geht es gleich weiter zu den Herrenmodeschauen in Mailand. Doch jetzt erst einmal in ihr Büro, Winkler ist völlig entspannt. Kein Wunder, der saisonale Modekalender der internationalen Modeschauen in Paris, Mailand, London und New York gehört für sie auch nach ihrer Pensionierung zum modejournalistischen Pflichtprogramm – und das seit ziemlich genau 30 Jahren. Heute ist Winkler freiberuflich für die Tageszeitung "Der Kurier" und das österreichische Magazin "flair" tätig.

Dabei fing doch eigentlich alles mit der Frauenseite des Kurier an. Dort betreute sie seit 1977 - zu Beginn noch als freie Redakteurin - zusammen mit zwei Kolleginnen frauenrelevante Themen: "Wir waren zu dritt, eine Kollegin war für die Mode zuständig und ich war die Emanze." Die sei sie im Übrigen noch immer, betont sie. Bald darauf ging die Kollegin, Winkler übernahm die Mode. Aber aus der Entfernung nur über die neuesten Farbtrends zu schreiben, war ihre Sache nicht. Raus wollte sie, internationale Modeluft schnuppern und "den Dingen auf den Grund gehen." Denn reisen, das tut sie nach wie vor für ihr Leben gern. 1981, ihre erste Destination im Auftrag der Mode: Paris. Immer mit dabei: eine Kamera (kein Wunder, dass den ModebloggerInnen ihre ganze Sympathie gilt). "Ich bin das erste Mal völlig naiv und blauäugig auf die Messe der Prêt-à-Porter-Schauen nach Paris gefahren, bin von einem Stand zum anderen, zwischen irgendwelchen Hängern umhergelaufen und habe mich gefragt: Das soll die Prêt-à-Porter-Show sein?" Nun, das sei sie natürlich nicht, ließ sie sich dann erklären.

Sich in die Shows von Yves Saint Laurent und Issey Miyake reinzuschummeln, schaffte sie dann doch – ohne Akkreditierung oder gar eine Einladung - ein gewisses Sendungsbewusstsein, gepaart mit einer Portion Frechheit siegt bekanntermaßen. Allerdings ist sich Brigitte Winkler sicher: Anfang der 1980er mag es vergleichsweise schwierig gewesen sein, an Informationen heranzukommen, umso einfacher hingegen, sich gegenüber der überschaubaren journalistischen Konkurrenz durchzusetzen. Die mediale Situation bei den Schauen vor Ort war nicht vergleichbar mit heute: "Es hat damals vielleicht fünf Fernsehkameras gegeben." Am Anfang war sie mit einem Fotografen unterwegs, "aber da habe ich nie das bekommen, was ich wollte: Der Fotograf will ein schönes Bild machen, für mich ist der Rücken eines Kleidungsstückes interessant. Heute werden ja alle möglichen Details festgehalten, damals hat kein Mensch die Schuhe oder einen speziellen Nagellack fotografiert. Ich bin dann da gesessen und habe gezittert: Schon wieder ein Foto, was ich nicht haben werde!"

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© Brigitte Winkler im Gespräch mit Gianni Versace 1982

In New York kaufte sie sich dann "eine super Kamera, auf der ich einfach nur den Auslöser drücken muss." Vorläufiges Endergebnis: ein Fotoarchiv, in dem quasi die Modegeschichte der letzten 30 Jahre komprimiert und konserviert ist - ein echter Schatz, der all die Großen der Branche in der Schublade zusammenbringt: Von Gianni Versace und Giorgio Armani über Helmut Lang bis zu Bernhard Willhelm. Und noch immer hat Winkler ihren Fotoapparat als Gedankenstütze immer mit dabei, obwohl oder weil die Schnelligkeit auch die Modewelt fest im Griff hat: die großen Modeschauen in Paris, London, Mailand oder New York werden bereits wenige Stunden später im Internet en détail bebildert und besprochen. Genauso selbstverständlich hat auch im Modejournalismus das Tempo angezogen.

In ihren Anfängen hat Brigitte Winkler noch Fotos gemacht, um sie zu Hause ein halbes Jahr lang in der Schublade verschwinden zu lassen: "Wenn ich damals im März angefangen hätte, von der Herbstmode zu schreiben, dann hätten die Leser das nicht verstanden." Heute übertragen große Unternehmen per Livestream vom Laufsteg direkt in die eigenen vier Wände: "Burberry macht das ja jetzt, da kann im Internet sofort geordert werden und man bekommt die Bestellung dann drei Wochen später. Ich finde das nicht gut, weil du dich damit als Modeschöpfer von deinem Level runter zwingst, du machst dich vom Künstler zum Verkäufer." Dann wäre da noch das gegenläufige Prinzip: Tom Ford präsentierte in den letzten beiden Saisonen seine Kollektionen unter medialem Ausschluss im elitären Zirkel ausgesuchter Modemenschen. Winkler, die bei seiner letzten Exklusivpräsentation für das Magazin "flair" in London mit dabei war, ist davon überzeugt, dass das Rad der Zeit nicht zurückgedreht werden kann: "Ich liebe Tom Ford, aber ich habe lachen müssen, als Kollegen seine letzte Präsentation als 'ganz neu' bezeichneten. Ganz altmodisch trifft es wohl eher. Wie bei der Haute Couture früher: Du bist auf den goldenen Sesseln gesessen, niemand hat fotografiert, weil das unfein gewesen wäre." Sie ist sich sicher: "Beim nächsten Mal wird er es anders machen."

Überhaupt ersetze die Übertragung einer Modenschau nicht das Erlebnis vor Ort, davon ist die Journalistin überzeugt. "Ich liebe es, backstage zu gehen und – wenn man nicht zur nächsten Show rasen muss - mit den Designern zu sprechen. Denn erst dann kann ich die Mode im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. In den 80ern gab es Rüschen und Farben, die man von außen gut erkennen konnte, heute spielt sich sehr viel im Inneren der Mode ab. Die Details und das Innere der Kleidungsstücke kann man im Livestream zum Beispiel gar nicht erkennen. Da sieht man dann ein vermeintlich ganz normales Sakko und findet das uninteressant."

Die ewigen Diskussionen um die Tragbarkeit von Modekollektionen fegt sie hingegen kurzerhand vom Tisch: "In Paris werden einem Fachpublikum Philosophien gezeigt, die ich als Teil dieses Fachpublikums im Lauf der Jahre verstanden habe. Es wird dann immer gefragt, ja wer soll denn das tragen? - Das soll niemand tragen!" Eine Schau in Paris sei schließlich etwas völlig anderes als eine Modevorführung in einer Wiener Innenstadtboutique, die sich direkt an die Endverbraucher richte.

Hier wie dort regieren mittlerweile die Celebrities die Wahrnehmung der Mode. Das sei allerdings nicht immer so gewesen, erinnert sich Winkler: "In Paris ist Caroline von Monaco in der ersten Reihe gesessen, ihre Schwester Stephanie ist backstage herumgelaufen, ja und? Diese Hysterie, die herrscht, wenn heute Promis kommen, die gab es so damals nicht. Glücklicherweise werden die Prominenten nach wie vor nicht überall als Aufhänger genutzt. Eine Modestadt wie Paris, wo man die Sache ernst nimmt, macht diesen Hype Gott sei dank nicht mit. In New York oder Berlin aber werden extra rote Teppiche ausgerollt: Ich habe ja nichts gegen Promis, aber wenn das die einzige Story ist, dann ist das fad und zu wenig."

Die Celebrity-lastige Modeberichterstattung begann Ende der 80er mit dem erwachenden Interesse des Fernsehens an der Mode. Und heute? Werden sogar Modeblogger zu Stars und dürfen in der Frontrow sitzen. Brigitte Winkler: "Ich habe die Blogger zuerst gar nicht bemerkt. Das mit der ersten Reihe ist ja ein bisschen ein Spiel. Natürlich sitzt jemand wie Anna Wintour, die mit der amerikanischen Vogue eine MillionenleserInnenschaft hat, in der ersten Reihe und der Kurier irgendwo in der achten." Winkler selbst sieht die Vergabe von Sitzplätzen weniger eitel als pragmatisch und gönnt einem Blogger wie Bryanboy seine erste Reihe allemal: "Bei den Fotografen sieht man am besten. Ich weiß dann immer schon, wo ich mich platziere, insofern ist mir das mit den Reihen ziemlich wurscht."

Überhaupt nicht wurscht ist Winkler hingegen die heimische Modesituation: „In Österreich wird leider nicht überlegt, wer oder was mit einer Modeveranstaltung erreicht werden soll: Wer ist mein Zielpublikum, ist es der Einkäufer oder die Frau von der Straße? Die "Vienna Fashion Week" kann nicht in Konkurrenz treten mit Mailand oder Paris. Auf Einkäufer wird man hier noch lange warten müssen, da muss man sich was anderes einfallen lassen! Oder: Was nützt es mir, wenn zu den „Austrian Fashion Awards“ wieder alle Insider kommen, die eh wissen, wer das ist. Eine solche Veranstaltung sollte offen für das Publikum und vielleicht auch so unterhaltsam sein, dass das Fernsehen mit dabei ist. Förderung ist wunderbar, genauso wichtig ist aber, dass ich mitteile, wer warum gefördert wird - und dazu „ein bisschen was Kulinarisches“: denn das Interesse ist ja da! Modeveranstaltungen kann es nicht genügend geben, aber dann zielgerichtet! Das wäre auch eine Aufgabe des ORF.“

Ihre Modebegeisterung hat Brigitte Winkler über die letzten 30 Jahre hinweg dennoch nicht verloren, ganz im Gegenteil: sie scheint sie immer und überall mit im Gepäck zu haben. Und während sie erzählt, vor etlichen Jahren in Bilbao beim Anblick des verdrehten Blechs, des Ende der 90er neu entstandenen Frank-Gehry-Baus, sofort an den verdrehten Stoff eines Helmut Lang-Kleides gedacht zu haben, für die Schnitte eines Carol Christian Poell schwärmt oder sich erinnert, wie ihr in den 80ern während einer Comme des Garcons- Modenschau beim Anblick der umgedrehten und zerrissenen Kleidungsstücke die Tränen gekommen seien, fange ich an zu verstehen. Warum Mode so oder so ausschaut, das ist doch wahnsinnig spannend, sagt Brigitte Winkler und schaut mich fragend an. Recht hat sie wohl.

Text: Anne Feldkamp
(Archiv 2011)

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