Seidenband in Jacquardweberei (Detail) | wohl Slowakei 19. Jh.| Sammlung Emilie Flöge | © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien.jpg
Seidenband in Jacquardweberei (Detail) | wohl Slowakei 19. Jh.| Sammlung Emilie Flöge | © Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien

Die Sammlerin Flöge

Zur umfangreichen Textil- und Bekleidungssammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde zählen rund 350 Objekte aus dem Nachlass von Emilie Flöge, der Lebenspartnerin und Muse Gustav Klimts. Ein großer Teil der Sammlung wurde im Rahmen des Klimt-Jahres erstmals im Volkskundemuseum präsentiert. Wir haben uns mit der Kuratorin Kathrin Pallestrang getroffen.

Es gibt da ein Bild in der Ausstellung, das so vieles erklärt. Zu sehen ist Emilie Flöge mit lockigem Haar an einem sonnigen Tag im Jahr 1913 am Attersee. Die Designerin posiert - eine Hand seitlich in der Hüfte- in einem ihrer bodenlangen lockeren Sommerkleider, über den Schultern liegt ein transparenter lindgrüner Schal. Ins Auge sticht sofort ein auffällig gestickter Einsatz im Kleid. „Bei diesem Stück Stoff handelt es sich um eine Plattstichstickerei aus der Slowakei“, erklärt mir Kuratorin Kathrin Pallestrang und weist auf einen ausgestellten Stoffgürtel, der - aus einem anderen Fragment stammend dasselbe Muster aufweist: Kleine Vögel und verschlungene florale Motive - Ornamente, Muster und Farben hatten es Flöge nämlich angetan.

Schnell wird klar: Diese kleine, zwei Räume umfassende Ausstellung im Volkskundemuseum führt auf ganz unprätentiöse Weise vor, dass Emilie Flöge einer Leidenschaft nachging, die im Künstlerkreis der Secession ganz üblich war: Sie sammelte Textilien, mit dem Schwerpunkt auf westslowakischen Spitzenstoffen des 19. Jahrhunderts. Im wunderbar aufbereiteten schmalen Ausstellungskatalog stellt die Kuratorin allerdings auch fest, dass es sich bei der Sammlung Flöge um kein Einzelphänomen handelte, dass es vielmehr um 1900 en vogue war, " sich den Produkten der ländlichen Bevölkerung zuzuwenden." 
Die gesammelten Fragmente hat Flöge in ihrem Modesalon auf der Mariahilferstraße, damals eine der ersten modischen Anlaufstellen der Stadt, immer wieder zu Ausstellungsstücken erhoben. Doch die Spitzenteile dienten nicht nur der Inspiration, sie wurden – und diese Erkenntnis ist sicherlich der Rechercheleistung der Kuratorin zu verdanken - auch in die Künstlerkleider Flöges integriert. Dabei ging es der Designerin weniger darum, diese als traditionelle Handarbeit, sondern, wie auf dem Foto an ihrem Kleid sichtbar, als Bestandteil eines modernen Ganzen zu präsentieren. Die Quellen für den Umgang der Designerin mit ihrer Sammlung sind leider rar gesät: Ihre Ausstellungsaktivitäten sind nur mehr in Interviewberichten festgehalten, die Dokumentation traditioneller Spitzen in neu entworfene Kleidungsstücke ist ebenfalls Mangelware –bis eben auf wenige Ausnahmen wie das Portrait Flöges im Künstlerkleid am Attersee.

Dennoch: „Die Sammlung Flöge ist ein bekannter und auch wichtiger Sammlungsbestandteil unseres Hauses und wird nun in der Reihe „Objekte im Fokus“ gezeigt“, erklärt Pallestrang, seit zehn Jahren am Volkskundemuseum und nun seit einem Jahr Textilkuratorin am Haus. Schon länger hatte sie die hauseigene Sammlung aus über 350 Stücken im Auge, im Klimt-Jahr hat sich deren Realisation dann geradezu angeboten. Und da liegen denn nun bei gedämpftem Licht in Glasvitrinen farbenfroh leuchtende Spitzenfragmente aus der Slowakei, komplett erhaltene bestickte Hauben, Gürtel und Stoffstücke, an denen Spuren von Überarbeitungen zu finden sind: Spitzen, die mit schmalen Schrägbändern verstürzt oder an neue Stoffe angenäht wurden. Ein weiterer Teil der Sammlung: Stoffe, die Flöge von ihren regelmäßigen Reisen aus Paris mitbrachte.Gar nicht so einfach, die Präsentation der vielen Spitzenfragmente zu strukturieren: „Von den bunten Stickereien ist ein sehr großer Teil in der Ausstellung zu sehen, bei den Tüllstickereien hingegen haben wir ganz stark eine exemplarische Auswahl vorgenommen“, erklärt Pallestrang. Wie die Flöge-Sammlung allerdings einmal in ihrer Gesamtheit ausgesehen hat, ist nicht mehr rekonstruierbar: „Ein Teil von Emilie Flöges Sammlung ist 1945 einem Brand zum Opfer gefallen“, gibt die Kuratorin zu Bedenken. So allerdings, wie sich die Sammlung heute präsentiert, sammelte sie nur wenige komplette Kleidungsstücke, dafür vor allem kleine, bereits ausgeschnittene bestickte und geklöppelte Teile. Ähnlich sieht auch der Schwerpunkt der Präsentation im Volkskundemuseum aus. „Wir haben versucht, mit kompletten Stücken wie einer Schürze oder einer Bluse aus unserer alten Sammlung Parallelen zu den fragmentarischen Sammlungsstücken herzustellen: Anhand einer Schürze mit Borte ist so nachvollziehbar, dass eine von Flöge gesammelte Borte fast ident aussieht. Das „Dazwischen“, der unspektakuläre Baumwollstoff und damit das Kleidungsstück als Gesamtes, hat sie wahrscheinlich gar nicht interessiert“, erklärt die Kuratorin das Interesse der Sammlerin Flöge für das Fragmentarische. In der Regel schnitten allerdings bereits die Händler die traditionellen Kleidungsstücke auseinander. Die Stickereistoffe, die zwar teuer, für Flöge mit ihrem Background erschwinglich waren, hat sie wahrscheinlich in Wien erstanden. Präsentiert werden die Spitzenfragmente auf einem speziellen Schaumstoff, an einigen Stücken wurden Konservierungen vorgenommen, hierbei habe das Licht die meisten Schäden angerichtet. „Im Großen und Ganzen sind die Stücke aber in einem guten Zustand“ erzählt die Kuratorin, die die Ausstellung zusammen mit Unterstützung der Restauratorin des Hauses erarbeitet hat. Auf die Frage, welches Stück sich während der Recherche zur Ausstellung zu einem Lieblingsstück gemausert hat, weiß Kathrin Pallestrang erst einmal gar nicht so recht, zeigt dann aber auf ein farbenfrohes Bodenteil einer Haube aus der Westslowakei: „Das mag ich ganz besonders, weil es durch sein Muster und die leuchtenden Farben besticht.“

Text: Anne Feldkamp

(Archiv 2012)

Katalog zur Ausstellung
Kathrin Pallestrang: Die Textilmustersammlung Emilie Flöge im
Österreichischen Museum für Volkskunde.
Wien 2012, 83 S., zahlr. Farbabb. ISBN 978-3-902381-21-7


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