Feine Stiche, kleine Punkte
12 – 19 April 2018
Petit Point, das ist allerfeinste Handarbeit made in Austria. Nur noch wenige Unternehmen verkaufen die Stickereien, die viele Stunden über dem Stickrahmen bedeuten.
Draußen scheint die Sonne, die Touristen strömen über den Graben, vorbei an dem schmalen Geschäftslokal Nummer 16 mit dem Schriftzug „Petit Point“. ln dessen Auslage: kleine Bilderrahmen, Halsketten, Broschen, Geldbeutel, Handtaschen und Handspiegel. Alles mit opulenten Blumenmustern bestickt. 361 Stiche pro Quadratzentimeter, bedeutet ein handgeschriebenes Pappschild. Das heißt: allerfeinste Handarbeit.
„Unser Geschäft ist seit fast hundert Jahren in Familienbesitz“, erzählt Enrica Kovacec, die das Unternehmen „Petit Point Kovacec“ zusammen mit ihrem Mann führt. Sie kramt ein Foto aus dem Jahr 1925 aus der Schublade. „Damals hat das Geschäft der Großmutter meines Mannes gehört. Sie hat bis zum zweiten Weltkrieg außer Petit Point auch Lederwaren verkauft.“ Heute ist in dem schmalen Geschäftslokal ausschließlich feine Stickware zu haben. Und die Kundschaft? Besteht heute vor allem aus Touristen, die das Unternehmen in Fremdenführern entdecken. Die Wiener, so Kovacec, beschränkten sich mittlerweile eher auf besondere Anlässe, auf Muttertag oder auf Weihnachten.
Vielleicht ist die Geschichte des Petit Point auch ein wenig in Vergessenheit geraten. Die Handarbeit der feinen Stiche, entstand im Rokoko. Unter Maria Theresia gelangten die Stickereien an den Wiener Hof. Heute vertreiben in Wien nur noch wenige Betriebe die aufwendige Handarbeit. Das Um und Auf des Geschäfts mit den „Petit Points“, den händisch gesetzten feinen Stichen: die Ausführung der Kreuzstiche. Wenn auf der Stickunterlage, der seidenen Gaze, 361 Stiche auf einem Quadratzentimeter untergebracht werden, entspricht das den höchsten Qualitätskriterien. Und bestimmt auch den Preis. Wie teuer eine Handtasche, wie sie bei den Kovacecs in den Regalen steht, verkauft wird, richtet sich nicht nur nach der Ausführung der Stickerei, sondern auch danach, ob sie auf beiden Seiten bestickt ist und nicht zuletzt nach der Qualität des Bügel. Eine Petit Point-Tasche mit 361 Stichen pro Quadratzentimeter bedeuten für eine Stickerin um die 300.000 Stiche. Ist die Handtasche beidseitig bestickt und wird von einem ziselierten Bügel in Laubsägearbeit abgeschlossen, kann sie 1800 Euro kosten. So viel wie so manche Designerhandtasche. Den Kunden ist das nicht immer so einfach zu vermitteln. „Der Name Kovacec kann mit dem von Prada nicht konkurrieren.“
Das besondere am Petit Point: statt auf einen Vordruck wird auf eine reinweiße Seidengaze gearbeitet. Weil auf dem feinen Gewebe nicht maschinell gearbeitet werden kann, ist die Seidengaze immer auch ein Indiz für Handarbeit. Gestickt wird auf einem Rahmen, von der Mitte der Gaze an die Ränder vorgearbeitet, oft mit Lupe. Die Garne werden aus 400 Farbschattierungen ausgewählt, rund 100 Farben auf einer hochwertigen Tasche verarbeitet. „Wichtig ist, dass eine Stickerin keine Farbe überspringt. Wenn für ein Motiv fünf Farbtöne vorgesehen sind, dürfen nicht nur vier verwendet werden.“ Die Motive? Historische Vorlagen. „Die Motive kommen großteils aus dem Besitz der Großmutter. Unsere 600 Vorlagen sind das Kapital des Betriebs“, erklärt Enrica Kovacec. Bis in die Fünfziger Jahre haben die Vorlagenmacher mit Pinsel und Farbe Vorlagen aufs Rasterpapier gebracht. Heute laufen die historischen Motive am besten. Aber ob die Stickerei, die schon heute nur noch wenige Frauen beherrschen, in zehn Jahren noch ausgeführt wird? Enrica Kovacec ist wenig optimistisch: „Dann gibt’s wahrscheinlich nur noch die chinesische Stickerei.“
Szenenwechsel. Neunter Bezirk, Garnisongasse, erster Stock. Hier ist das Unternehmen Frankl- Mihalek zu Hause. Drei Frauen-Generationen stehen in der Wohnung und erklären ihr Business: Caroline Zingel, ihre Mutter Ursula Kabas, im Hintergrund die Großmutter. Hier glaubt man trotz aller Schwierigkeiten an die Zukunft des Petit Point. Auch wenn Kabas einräumt: „Was wir hier früher, als ich ein Kind war, verkauft und produziert haben! Vier bis fünf Arbeiterinnen saßen rund um die Uhr in dieser Wohnung.“ Heute klappert Kabas, die das Unternehmen „aus Herzblut“ nebenher weiter geführt hat, die Stickerinnen zu Hause ab. „Deswegen bin ich immer viel unterwegs. Wir machen hier dann die Endfertigung und verarbeiten die Stickereien zu Broschen und Taschen.“
Gerade aber herrscht Aufbruchstimmung. Tochter Caroline, eigentlich Ingenieurin der Elektrotechnik, will das Unternehmen langsam übernehmen – und macht Nägel mit Köpfen. Sie verlagert das Geschehen in die Nähe ihrer Wohnung. Und möchte, dass in Zukunft auch Kunden einfach mal so vorbeischauen können. „Ich bin bei meiner Oma aufgewachsen und will nicht, dass unser Familienunternehmen ausstirbt.“ Sie glaubt, dass dafür jetzt der richtige Zeitpunkt ist. „Handarbeit ist angesagt, in Youtube-Videos boomt ja auch das Häkeln und Stricken.“ Sie selbst erlerne gerade in kleinen Schritten das Taschenhandwerk. „Wir haben die Maschinen ja da. Dann brauchen wir diesen Arbeitsschritt nicht rausgeben.“ Zingel ist von der Sache überzeugt und sie hat große Pläne: vor ihr liegen drei neue Handtaschen-Modelle. In Zukunft sollen die auch weltweit zu kaufen sein. Im neuen Online-Shop des Unternehmens Frankl-Mihalek.
Text: Anne Feldkamp, Journalistin (Der Standard) und Kunsthistorikerin