Dora-web.jpg
Machen Sie mich schön, Madame d’Ora Dora Kallmus - Fotografin in Wien und Paris von 1907 bis 1957 Herausgeber: Monika Faber, Esther Ruelfs, Magdalena Vukovic Verlag: Brandstätter, Wien

Madame d'Ora

Machen Sie mich schön, Madame d’Ora 

Mit dem Buchtitel Machen Sie mich schön, Madame d’Ora. Dora Kallmus - Fotografin in Wien und Paris von 1907 bis 1957 widmete der Brandstätter Verlag der herausragenden Fotografin ein Buch, das Einblick in ihr Lebenswerk gibt. Im Vordergrund stehen ihr persönliches Umfeld und der Einfluss der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Veränderungen auf ihre Arbeit. Darüberhinaus bietet das Buch wesentliche Details zur Geschichte der Modefotografie.


Die Karriere von Madame d’Ora begann im Wien der Jahrhundertwende. Dora Kallmus, so der bürgerliche Name der Fotografin, wurde 1881 in eine jüdische Zuwandererfamilie geboren und wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf. Ihre fotografische Laufbahn begann bei Hans Makart, bei dem sie in der Dunkelkammer arbeitete. Als außerordentliche Studentin an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt fand sie im Direktor Josef Maria Eder einen Protegé. Er sollte ihr 1905 zur ersten Ausstellung im Wiener Photoclub verhelfen. 

Im Anschluss an ihre Ausbildung absolvierte sie ein Praktikum bei Nicola Perscheid in Berlin, der sich als Protagonist der ‚allerneuesten Portraitgestaltung’ einen Namen gemacht hatte. Nach ihrer Rückkehr richtete sie in Wien ihr erstes Atelier ein. Die technische Leitung übernahm Arthur Benda, Perscheids langjähriger Assistent, den sie abgeworben hatte. Zu ihren Kunden der ersten Stunde zählten Prominente aus dem persönlichen Umfeld und Bühnenkünstler. Ihre Fotos wirkten lebendig und hatten nichts von der damals üblichen Steifheit. 

Im frühen 20. Jht. war die Grenze zwischen Gesellschaftsportrait und Modeaufnahme fließend: die Damen der höheren Gesellschaft sowie Schauspielerinnen und Künstlerinnen galten als modische Vorbilder und waren in ihren Portraits stets nach der neuesten Mode gekleidet. Madame d’Oras erste explizite Modeaufnahmen entstanden 1909. Zu ihren Kunden zählten Modeinstitutionen wie das renommierte Modehaus Zwieback und die Wiener Werkstätte an. 


1.-BS_S48_MKG_Dame-ganz_P1976.857.352.2_3_B.jpg


Fließende Grenzen zwischen Portrait- und Modeaufnahme

Während des 1. Weltkriegs vermieden die Zeitschriften die Abbildung französischer Produkte und sahen in der Förderung heimischer Produkte einen patriotischen Auftrag. Aber auch Gesellschafts- und Kulturmagazine schufen eigene Modekolumnen. Madame d’Ora arbeitete mit Bildagenturen und Zeitschriftenredaktionen und konnte so auch außerhalb Österreichs publizieren – wie etwa in der illustrierten Modezeitschrift 'Die Dame' in Berlin oder in der 'Vogue'. 
Nach dem 1. Weltkrieg errichtete sie im exklusiven Olympic Palace Hotel in Karlsbad eine Sommerfiliale. Hier knüpfte Sie die Kontakte, die 1925 zur Übersiedlung nach Paris führen sollten. Der Erfolg in Paris muss unmittelbar gewesen sein, denn schon im Jahr darauf übergab sie das Fotostudio in Wien an Arthur Benda. 1928 wurden ihre Werke Teil der ersten französischen Ausstellung für Avantgarde-Fotografie in Paris und hingen neben jenen von Man Ray.
In den 1920er Jahren hatten Schauspieler die Aristokraten als Modevorbilder abgelöst und das neu entstehende Frauenbild wurde wesentlich von der Glamourfotografie geprägt. Es war nun nicht mehr der Charakter, den Madame d’Ora in ihren Modellen suchte, sondern die Schönheit. In einem Artikel, den sie 1927 veröffentlichte, stellte sie fest, dass sich die Pariserin zum Model eigne, weil sie vor der Kamera nicht scheu sei. Sie verlange nur eins: möglichst schön zu sein.  

VORSPANN_S3_MKG_Winterhut_P1976.857.320.18_3_B.jpg


Regeln der Glamourfotografie

Mit dem Klienten Maurice Chevalier, dem ersten französischen Weltstar, schwand ihr künstlerischer Anspruch an das Portrait. Sie ordnete sich den Regeln der Glamourfotografie unter, wie sie ihr etwas jüngerer Zeitgenosse George Hurrell in Hollywood begründet hatte. D’Ora schuf Portraits, die auf Weichzeichner und Hell-/Dunkeleffekten beruhten und vorteilhafte Darstellungen mit feinem Ausdruck ermöglichten. Den charismatischen Chevalier inszenierte sie für einen vorwiegend weiblichen Anhängerkreis.

1937 wurde die französische Modeindustrie von den wirtschaftlichen und politischen Unruhen erfasst und die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten führte zum Arbeitsverbot für jüdische Fotografen. 1940 wurde Madame d’Ora politisch bedingt zur Aufgabe ihres Ateliers gezwungen. In den folgenden zwei Jahren fotografierte sie Prominente in deren Häusern und Schauspieler im Theater oder auf der Straße. 1942 verließ sie Paris, um der nationalsozialistischen Verfolgung im entlegenen südfranzösischen Lalevade d’Ardèche zu entgehen. 


RUELFS_S174_MKG_Baker_P1976.857.994_3.jpg


Drang zur Kunst

Bis zu ihrer Rückkehr nach Paris sollten zweieinhalb Jahre vergehen, die sie mit dem Schreiben einer Autobiographie verbrachte. In dieser Zeit der Angst und der Entbehrungen entwickelte sie einen starken Drang zur Kunst. Als sie 1945 wieder nach Paris zurückkehrte war ihre geliebte Schwester in einem Konzentrationslager umgekommen. Madame d’Ora war 65 und kehrte zur Portraitfotografie zurück. Den Anschluss an die Modefotografie fand sie nicht mehr. Unterstützung fand sie im Sammler Willem Grütter.

Die Fotografin sehnte sich nach Charakteren, die sie u.a. in der 80-jährigen Schriftstellerin Colette und in dem exzentrischen Impresario und Choreographen George de Cuevas finden sollte. Zu den Portraits, die in dieser Zeit entstanden, schreibt die Autorin Vuković (S. 300): „Sie brach bewusst mit der Makellosigkeit der Bühnenfiguren im Wechselspiel von repräsentativer Pose und enthüllender Ironie (...) sie enthüllt die Allüren der Dargestellten und macht sie zum Bildgegenstand.“ (S. 300)

Die ersten Fotos nach dem Krieg entstanden 1946 in österreichischen Flüchtlingslagern. Der Gedanke, der sie zu Fotoaufnahmen in den Pariser Schlachthäusern bewegte, ist nicht überliefert. Jedoch hingen die Bilder von enthaupteten Tieren und armen Flüchtlingen 1958 bei ihrer letzten Ausstellung in Paris neben den glamourösen Portraits von Maurice Chevalier und Coco Chanel. Die Ausstellung lief unter dem Titel "Portraits et recherches ou 60 ans d’art photographique" in der Galerie Montaigne und bildete einen Rückblick auf ihr mehr als 50-jähriges Schaffen. Die Eröffnungsrede hielt Jean Cocteau.

Vier Jahre darauf übersiedelte Madame d’Ora  nach Österreich, wo sie am 30. Oktober 1963 starb. Willem Grüter übernahm den fotografischen und schriftlichen Nachlass.


Buchtipp:
Machen Sie mich schön, Madame d'Ora: Dora Kallmus - Fotografin in Wien und Paris von 1907 bis 1957
Herausgeber: Monika Faber, Esther Ruelfs, Magdalena Vuković
Verlag: Brandstätter, Wien

Ausstellung 
Leopold Museum Wien
13.07.2018 – 29.10.2018

Mit Texten von Andrea Amort, Christian Brandstätter, Jean-Marc Dreyfuss, Monika Faber, Cathrin Hauswald, Sylvie Lécallier, Esther Ruelfs, Peter Schreiner, Änne Söll, Katharina Sykora, Magdalena Vukovic

Alle Bilder ©  Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg/Brandstätter Verlag

Text: Hildegard Suntinger (15.07.2018)

More Features

1 March 2024
Titelbild-degrowth-collage

Ist weniger in Zukunft mehr? Degrowth in der Modeindustrie

Geringeres Wachstum, größerer Wandel: Degrowth als Leitprinzip für eine nachhaltigere Modebranche? Doch bleibt die Frage, ob ein Rückgang des Wachstums wirklich realistisch ist, wenn es stets darum geht, sich zu ...

4 November 2023
Outdoor Bekleidung

Outdoor-Bekleidung und ihr ökologischer Fußabdruck

Die Natur in vollen Zügen genießen, ohne die Umwelt zu belasten, stellt sich oft als eine Herausforderung dar. Denn abgesehen von offensichtlichem Müll hinterlässt auch unsere Kleidung umweltbelastende Spuren. Wir ...

17 September 2023
Circular design cards by Sabine Lettmann

Circular Fashion: Bildung schafft Veränderung

Das Schlüsselwort für wahre Veränderung in der Modeindustrie? Aufklärung. Designerin und Kreislauf-Expertin Sabine Lettmann sorgt mit ihrer Arbeit dafür, dass zirkuläre Modepraktiken nicht nur schöne Theorie bleiben, sondern es auch ...

26 July 2023
Juppenwerkstatt-riefensberg

Juppenwerkstatt Riefensberg: Exploring the Textile Manufactory

A stiff and shiny fabric is created in the Juppenwerkstatt Riefensberg in Vorarlberg in a lengthy process; it is folded into hundreds of pleats, from which one of the oldest ...

28 June 2023
Atacama-wueste-BeatrizOBrien

Abfallkolonialismus: Wann haben wir genug?

Berge an Textilmüll verschmutzen Küstenregionen in Chile und Afrika, gleichzeitig soll der Konsum von Kleidung bis zum Jahr 2030 um 63% ansteigen. Warum wir unser Kaufverhalten nicht nur überdenken sollten, ...

27 March 2023
Kleidung mit Guetesiegel

Fair, ökologisch und nachhaltig: Welche Gütesiegel sind beim Kauf von Kleidung zu beachten?

„Jeder Einkauf ist ein politischer Akt“ sagt Wolfgang Pfoser-Almer, CEO von Österreichs größter Nachhaltigkeitsmesse WeFair. Die Messe mit rund 170 Aussteller*innen versteht sich als Greenwashing-freie Zone, in der man mit ...