Rainer Ganahl löst mit marxistischer Kritik am Modesystem Eklat aus.
Der in New York lebende österreichische Künstler Rainer Ganahl präsentierte sein neues Buch Manhattan Marxism in der Kunsthalle Wien. Teil der Präsentation war eine politische Performance, die als Auftragsarbeit für das Luigi Pecci Center for Contemporary Art in Prato im Juni 2018 entstand – und die dort in einem Eklat endete.
Rainer Ganahl beschäftigt sich schon seit den 1990-er Jahren mit den Schriften von Marx und verarbeitet diese in seinen kapitalismuskritischen Arbeiten, die er meistens in Performances präsentiert. In seinem neuesten Buch Manhattan Marxism (Sternberg Press 2018) veröffentlicht er auf 700 Seiten Essays und Fotos der vergangenen zehn Jahre. Darin auch Beiträge von Antonio Negri und Gayatri Chakravorty Spivak, seinen ehemaligen Lehrern in New York. Wiederkehrendes Sujet Ganahls Arbeiten ist die Referenz auf große Modehäuser, die er nutzt, um die Mechanismen von Design, Politik und konspirativem Konsum aufzuzeigen.
Diese Richtung brachte ihm zuletzt eine Ausstellung in der Fashion Space Gallery des London College of Fashion wo sein Werk Comme des Marxist bis 12. Januar 2019 zu sehen war. Der Titel ist eine Anspielung auf das japanische Modelabel Comme des Garçons. Inhaltlich forderte Ganahl zu einem neuen Verständnis des Modesystems auf, indem er Verbindungen zwischen der industriellen Revolution, dem tragischen Fabrikeinsturz von Rana Plaza 2013 sowie der Produktion und dem Konsum von Luxusgütern und Kunst und Mode schuf.
Kunst als Problemlöser
Das Projekt lief unter dem Titel Kunst statt Sicherheitskameras und entstand in einer Kollaboration von Stadt Prato und Centro Pecci. Neben Ganahl sollte auch Yoko Ono teilnehmen. Das Projekt sollte eine Annäherung in den sozialen und kulturellen Problemen bewirken, die durch den hohen Anteil an chinesisch-sprachiger Population entstanden waren. Prato ist eines der größten Mode- und Textilproduktions-Zentren Italiens und hat eine der größten chinesisch-sprachigen Populationen Europas. 30 Prozent der 200.000-Einwohner Stadt sind chinesisch.
Seit Mitte der 1990-er Jahre wurden leerstehende Fabrikhallen an chinesische Unternehmer vermietet, die hier Mode made in Italy zu chinesischen Bedingungen produzieren. Auch die Arbeiter sind chinesischer Herkunft. Viele halten sich illegal in Italien auf und leiden unter ausbeuterischen Verhältnissen und mangelnden Sicherheits-Standards. 2013 kamen bei einem Brand in einer Fabrik sieben Menschen ums Leben – nach einer 60-Stunden Schicht. Seither kam es immer wieder zu Aufständen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bei einer Demonstration Anfang Juli 2016 sagte einer der Demonstranten in einem Statement in der Huffington Post: „All we get is inspections. We are assaulted and robbed. The inspectors only want to get paid, but nobody protects us.”In der Stadtregierung sieht man indes in den Inspektionen eine geeignete Lösung des Problems. Dazu der Bürgermeister Enrico Rossi in einem Statement in der South Chinese Morning Post: „We need the chinese community to respect the law and integrate. We cannot have ‚free zones’. We will keep up inspections to clean up this immense production system.“
Kapitalismus und Arbeiterklasse
Am 19. Januar erschien Rainer Ganahl zur Präsentation in der Kunsthalle Wien. In den feinen Wollstoff seines Anzugs war der Schriftzug Please teach me Italian, Please teach me Chinese eingewebt – der Titel der Performance, die er im Juni 2018 in Prato gezeigt hatte und die dort auf Widerstand von Mitwirkenden und Auftraggebern stieß. Wenige Tage zuvor hatte er vom Anwalt des Luigi Pecci Center in Prato eine Vergleichsvereinbarung erhalten, in dem er aufgefordert wurde auf die vereinbarte finanzielle Unterstützung für das Auftragsprojekt zu verzichten und bei den dafür erstellten Objekten in zukünftigen Präsentationen keinen Bezug zu Prato herzustellen.
Ganahl hatte eine Kollektion entworfen, um die kapitalistische und die Arbeiterklasse darzustellen. Die Teile der kapitalistischen Klasse ließ er in Betrieben in Prato fertigen. Einen der zwölf feinen Cashmere-Anzüge trug der Künstler bei seinem Auftritt in der Kunsthalle Wien selbst. Weitere Modelle, die er anfertigen ließ, waren Kopien von Prototypen aus der Gucci Show Winter 2018/19. Die Arbeiterklasse stellte er mit der von den Arbeitern tatsächlich getragenen Kleidung dar. Billige Teile von Diskontern, an denen noch die Preisschilder hingen.
Kapitalistische Praxis
Die politische Modeschau hinterlegte er mit Videos aus dem Internet. Zu sehen war die Show von Gucci, eine von ihm produzierte Show mit Arbeitern in einer Fabrikhalle und journalistische Beiträge zu den Arbeiteraufständen auf den Straßen von Prato. Ein weiteres Video musste er zurückziehen, weil es bei den Auftraggebern schon im Vorfeld auf Ablehnung stieß. Es war das Video, das Gucci für eine Kampagne im New Yorker Flagship-Store im Trump Tower genutzt hatte. Der Ausschnitt aus IF, einem Film der Regisseurin Lindsay Anderson aus 1968, zeigte einen Traum von einem Schulmassaker in einem britischen Privat College.
„Was 1968 ein revolutionäres Drama war, wurde in den USA in den vergangenen Jahren Realität. Ich fand es bemerkenswert, dass Gucci mit einem Schulmassaker wirbt.“
Gucci hatte den Filmausschnitt ohne Ton gezeigt. Ganahl fügte in seinem Video den Originalton und Szenen aus dem Massaker hinzu. Als er im Vorfeld ersucht wurde, etwas positiver zu sein, tauschte er das Video gegen den Werbespot Hilltop aus, den Coca Cola 1971 veröffentlicht hatte. Laut Ferguson (2012) illustriert der Spot wie der aufkommende Neoliberalismus die politischen Probleme dieser Ära durch das oberflächliche Zelebrieren von Diversität aufgenommen hat, aber wenig unternahm, um der Rassenungleichheit ein Ende zu bereiten.
Zensur
Als er in Prato angekommen war, gerieten die Dinge außer Kontrolle. Ganahls Laptop hatte kurz zuvor Schaden genommen und er war in Schnitt und Arrangement der Performance-Videos auf das Produktionsteam vor Ort angewiesen. Cristiana Perrella, die Direktorin des Centro Pecci, verlangte die Streichung des Videos mit der Show der Arbeiter in der Fabrik. Ganahl bestand darauf, musste aber im Gegenzug Gewaltszenen aus den Videos über die Arbeiteraufstände verändern und Logos verdecken. Am Ende fand die Performance mit zwei Stunden Verspätung statt. Nach dem Screening entbrannte eine heftige Diskussion. Für Ganahl nur ein natürlicher Ausdruck der problematischen Zustände. An der Performance hatte eine in Italien lebende chinesische Opernsängerin mitgewirkt, die den Wahrheitsgehalt der Videos von den Aufständen in Frage stellte und den Künstler der Lüge bezichtigte. Hatte Perrella dem Titel Marx a Prato and Gucci a Prato und der Verwendung des journalistischen Materials aus dem Internet im Vorfeld zugestimmt, so sagte sie nun vor Publikum, dass sie sich etwas mehr erwartet habe, als Material aus dem Internet.
Einen Artikel zum weiteren Verlauf des Abends finden Sie hier:
Rea Naomi (4.10.2018): After a Controversial Performance in Italy, Artist Rainer Ganahl Is Staging His Political Fashion Shows in London and Vienna. In: Artnet News
„Obwohl vom PR-Arm der Stadt Prato gesponsert, bin ich kein PR-Mann sondern ein Künstler.“
Die Auftraggeber beschlagnahmten die Arbeiten und Ganahl musste sie mit Hilfe eines Rechtsanwalts zurückfordern. Zuvor musste er alle Arbeiten aus seien Online-Archiven und den Sozialen Medien nehmen.
In der Performance in Wien verwendete er die Zusammenfassung des Vergleichsvertrags gleich als erstes Bild und zeigte die Performance so wie diese ursprünglich intendiert war. Für Ganahl ist die Vorgehensweise eine institutionelle Schikane und er will sich nicht an die erzwungene Vereinbarung halten. Die betroffenen Arbeiten sind bereits wieder online zu sehen. Demnächst will er die Arbeiten in einer Galerie in New York ausstellen, die Kampagne Institutional Harrassment starten und ein Buch darüber veröffentlichen.
Ganahls Arbeit sollte eine Brücke zwischen der einheimischen italienischen und der eingewanderten chinesischen Bevölkerung in ihrer Nachbarschaft Chinatown bauen.
Rainer Ganahl wurde 1961 in Bludenz geboren und lebt seit 1990 in New York. Von 1986 bis 1991 studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst Wien bei Peter Weibel, an der ENSAD in Paris und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Nam June Paik. 1990/91 nahm er am Independent Study Program des Whitney Museum of American Art teil. Von 2006 bis 2012 war er als Professor für Bildhauerei – Material- und Raumkonzepte auch unter Einbeziehung Neuer Medien – an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart tätig. Rainer Ganahls Arbeiten wurden mehrfach im Rahmen der Biennale di Venezia gezeigt: 1999 im österreichischen Pavillon und zuletzt 2007. Seine Präsenz in der Ausstellung „New York - States of Mind“ unterstreicht Ganahls Verwurzelung in der New Yorker Kunstszene.
www.ganahl.info
Text: Hildegard Suntinger (15.02.2019)
Alle Bilder © Rainer Ganahl