Qollezione: Lokale Traditionen sammeln und neu gestalten
Das Südtiroler Modelabel Qollezione erforscht vertraute traditionelle Gegenstände, um diese neu zu gestalten. Ausgangspunkt ist der blaue Schurz.
Der Heimatbegriff der Beiden ist selbstreferentiell und basiert auf Kindheitserinnerungen und dem Brauchtum, das noch die Großelterngeneration pflegte. Beide haben die Heimat in der Jugend verlassen und sind nach Jahren wieder zurückgekehrt. Mit dem Label wollen sie vertraute traditionelle Gegenstände erforschen, um diese neu zu entdecken. Ausgangspunkt war der blaue Schurz, den die Bauern bei der Feldarbeit zum Schutz ihrer Kleidung trugen. Im Redesign wird der Schurz auf das typische Blau und ikonische Schnittelemente reduziert. Dabei entziehen sie sich den Vorgaben der Modewelt und konzentrieren sich auf wenige durchdachte Stücke in hochwertiger Ausführung. Qollezione erscheint in unabhängigen Kapseln mit je fünf Kleidungsstücken. Bei unserem Treffen im Café Museion in Bozen geben uns Anna Quinz und Fabio Dalvit Einblick in ihre Arbeitsweise, die mehr jener von Sammlern gleicht, als jener eines Modelabels.
Der Ausgangspunkt eurer ersten Kollektion war der „blaue Schurz“, der seinen Ursprung im deutschsprachigen Tirol hat. Was verbindet ihr als italienische Muttersprachler mit dem blauen Schurz?
Fabio: Meine Familie ist ein gutes Beispiel von „nicht importierten“ Italienern. Ich bin auf einem Bauernhof in Salurn aufgewachsen, wo meine Vorfahren seit jeher gewohnt haben. Obwohl wir Italienisch sprechen, fühlen wir uns zutiefst mit dieser Heimat verbunden. Und in meinen Kindheitserinnerungen trägt mein Opa immer einen blauen Schurz.
Anna: Bei mir ist es anders. Meine Mutter ist Sizilianerin und mein Vater stammt aus dem Veneto. Ich bin in Bozen, ohne wirklichen Bezug zur Südtiroler Landwirtschaft, aufgewachsen. Seit ich jedoch nach dem Studium* wieder zurückgekommen bin, ist es mir wichtig die geschichtlichen, sozialen und kulturellen Aspekte dieser Provinz besser zu verstehen. Eine Provinz, mit welcher auch ich mich zutiefst verbunden fühle.
Fabio: Das Schöne an diesem Projekt ist eben auch, dass wir unsere Wurzeln erforschen können. Es geht nicht nur darum Kleider zu entwerfen, sondern auch die Traditionen zu erforschen und über uns selbst zu reflektieren: Wo kommen wir her? Wo stehen wir gerade? Wo wollen wir hin? Ich denke, dass wir es vor allem für uns machen. Und so finden in unseren Kollektionen viele Familienerinnerungen ihren Platz. Die Tasche aus der neuesten Qollezione_03 entspricht genau dem von meiner Oma handgenähten Sack zum Äpfel pflücken für meinen Opa.
Ein bekanntes Südtiroler Sprichwort besagt, dass „Ein Mann ohne Schurz nur halb angezogen ist.“ Dieses Sprichwort stellt einerseits die traditionelle Wichtigkeit des Schurzes dar und andererseits unterstreicht es, dass der Schurz seit jeher eine Männerdomäne ist. Ihr zieht mit dem blauen Schurzstoff nun Frauen an. Seht ihr darin einen Bruch mit der Tradition?
Fabio: Auf einigen Bauernhöfen habe ich in der Tat auch Frauen mit blauen Schürzen gesehen. Mehr als von einem Bruch würde ich aber von einer Inklusion der Frau sprechen.
Anna: Wir werden sicherlich irgendwann auch eine Männerkollektion machen. Ursprünglich sind wir aber von der Frau ausgegangen, da sie leichter anzuziehen ist und ich einige Kleidungsstücke für mich wollte. Nachdem der blaue Schurz seit vielen Jahren als billiges Souvenir „geschändet“ wurde, möchten wir ihm wieder etwas von seinem symbolischen Wert, von seiner Wichtigkeit zurückgeben; als ein bedeutendes Stück Tiroler Identität.
Fabio: Wir wollten den Schurz ins Heute übertragen, in den Alltag integrieren. Früher bestand der Alltag für die Mehrzahl aus der Arbeit auf dem Bauernhof. Heute gehen wir ins Büro oder arbeiten in einem Geschäft.
Der blaue Schurz „wurde“ von den Südtiroler Landwirten sonntags in der Kirche mit der gleichen Selbstverständlichkeit getragen wie jeden Tag auf dem Feld. Er spiegelt ihre Identität wider und man könnte dem Schurz den gleichen Stellenwert wie einer Tracht zusprechen. Welche Identität bzw. welche Aussage soll dem traditionsreichen Stoff nach der Verwandlung in eines eurer Kleidungsstücke innewohnen?
Anna: Man hat die Möglichkeit ein kleines Stück Südtiroler Tradition zu tragen, aber außerhalb des folkloristischen Universums.
Fabio: Für mich ist es wie ein Anker, der dich an deinem Heimathafen festhält. Durch Qollezione möchte ich etwas der landwirtschaftlichen Gemeinschaft zurückgeben. Als Jugendlicher habe ich immer versucht mich vom Bauer-Sein zu distanzieren. Heute empfinde ich es als wertvolles Gut, stets vor Augen zu haben, wo man herkommt. Man kann sich entwickeln oder verändern, aber die eigenen Wurzeln kann man nicht leugnen.
Anna: Auch, wenn wir unsere Kleider nicht wirklich mit einer großen Aussage verbinden, haben viele Personen bei der Vorstellung der ersten Qollezione im Rahmen des Fuorisalone im April 2017 in Mailand in den Kleidern nicht nur ihre Ästhetik oder ihre Schönheit gesehen, sondern sie auch mit einer eigenen glücklichen Erinnerung in Südtirol verbunden.
Im Konzept von „Qollezione_01“ steht, dass ihr Sammler seid und, „das Sammeln Aufschluss über uns selbst gibt“. Was habt ihr durch das Sammeln über euch selbst erfahren?
Anna: Vieles! Ein Moment der Offenbarung war sicherlich die Lektüre von „Ways of Curating“ von Hans Ulrich Obrist. Er bezeichnet das Sammeln als eine Möglichkeit Wissen zu erlangen. Das war ein wichtiger Denkanstoß. Indem ich historische und traditionelle Tiroler Gegenstände sammle, erlange ich Wissen über meine Heimat und auch über mir selbst in Verbindung zu meiner Heimat.
Fabio: Für mich war es vor allem eine Entdeckungsreise über das Sammeln selbst. Vorher habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, aber das Sammeln ist sehr komplex. Es wird meistens mit Gegenständen in Verbindung gebracht, dabei geht es aber auch um Wissen und Ideen. Durch andere Sammler habe ich erst erfahren, dass ich im Grunde ein Sammler bin.
Anna: Mich fasziniert auch die Ambivalenz des Sammelns. Für einige Menschen ist das Sammeln, der Drang zum Anhäufen von Dingen, eine Krankheit. Andererseits kann das Sammeln auch eine Kur sein, eine Form mentaler Striktheit. Das methodische Sammeln und Archivieren kann Ordnung im mentalen Chaos schaffen.
Und was habt ihr durch das Sammeln voneinander erfahren?
Fabio: Wir haben dadurch einige Dynamiken innerhalb unserer Beziehung besser verstanden. Als wir ein Paar wurden, haben wir noch in vollkommen unterschiedlichen Wohnungen gelebt. Ich hatte alles Notwendige und dennoch war meine Wohnung fast leer. Ich hatte wenige Objekte in gut überlegten Orten in der Wohnung positioniert. Für mich brauchen Gegenstände Raum. Für Anna braucht der Raum Gegenstände. In unserer gemeinsamen Wohnung versuchen wir beide Visionen zu vereinen. Die Suche nach einem Gleichgewicht und einer angemessenen Dichte ist dabei ausschlaggebend.
Angelehnt an den Kollektionismus habt ihr Eure Modelinie „Qollezione“ genannt. Wie zeigt sich das Sammeln in euren Kreationen?
Anna: Ich bin für die Tiroler Ästhetik zuständig (lacht).
Fabio: Mein Ansatz betrifft vor allem die Ruhe in den Formen und den Minimalismus. Für mich war es grundlegend wenige Stücke zu haben, diese sehr einfach zu fotografieren und auch essentiell zu verpacken. Das hängt wahrscheinlich mit meiner Arbeit in der Wissenschaftskommunikation* zusammen: Es kann sein, dass ich 100 Fotos schieße und dann drei aussuchen muss. Es geht um die Essenz der Dinge und um das Synthetisieren.
Anna: Hier geht es wiederum darum einen Kompromiss zwischen unseren Visionen zu finden. Ich füge gerne hinzu und Fabio entfernt vieles wieder.
Fabio: Für mich ist Qollezione eher ein Kommunikations- als ein Modeprojekt, bei welchem der Output Kleider sind. Weil Mode eine gemeinsame Leidenschaft ist. Wir sehen Qollezione als eine kuratierte Sammlung von Kleidern.
2018 habt ihr eure zweite Kollektion lanciert. Eine Inspirationsquelle war das Leben in der Bauernstube. Dem wohl wichtigsten Raum in den Tiroler Bauernhöfen. Welche Erinnerung verbindet ihr mit der Bauernstube?
Anna: Wir hatten keine Bauernstube zuhause, aber ich kreise schon mein ganzes Leben um diese herum. Beim sonntäglichen Mittagessen im Buschenschank oder beim Törggelen* mit Freunden. Die Bauernstube ist ein weiteres sehr wichtiges Symbol unserer Heimat. Die ursprüngliche Inspirationsquelle für Qollezione_02 sind die Stoffe der Kleider selbst. Wir haben diese Stoffe in der historischen Brunecker Weberei Franz entdeckt und uns sofort in die traditionellen Muster verliebt. Die Stoffe kleiden normalerweise die Stuben, durch Tischdecken und Vorhänge.
In Bauernstuben findet man oft Kissenbezüge, die mit beschützenden Sprüchen bestickt sind. Versteckt in euren Kleidern findet man den Spruch „Live long and prosper“?
Anna: Wir wollten in der Tat das Konzept der glückbringenden Sprüche der Altardeckchen in den alten Stuben übernehmen. Die Wahl dieses Spruches ist aber kein Zufall und auch nicht auf die bäuerliche Tradition zurückzuführen. Es ist natürlich ein Wunsch, den wir unseren Kunden gerne weitergeben, aber er stammt ursprünglich von Star Treks Mr. Spock. Fabio ist ein großer Science-Fiction-Fan. Wir fanden einerseits diesen lustigen, absurden Effekt interessant, wenn Personen diesen Spruch in Bauernstuben-Kontext wiedererkennen und andererseits kann der Spruch auch für sich alleinstehen. Für uns ist es ein sehr persönlicher und intimer Gedanke. Ein bisschen wie der Charakter einer Bauernstube.
Ihr wollt bei euren Kollektionen nicht saisonalen Trends folgen, sondern dem Zyklus der Natur in den Bergen. Wie kann man sich das vorstellen?
Anna: Dieses Konzept soll vor allem suggestiv sein. Wir entziehen uns den saisonalen Vorgaben der Modewelt. Einerseits, weil wir nicht die Ressourcen dazu haben und andererseits, weil wir uns auf wenige zeitlose, gut durchdachte und qualitativ hochwertige Stücke konzentrieren wollen. Wir sehen unsere Kollektion als Gegenpol zur eigentlichen Modewelt, wo alles nach spätestens sechs Monaten als überholt und out gesehen wird. Wir entwickeln eine Kollektion, die wir dann lancieren, wenn wir überzeugt davon sind: Das kann nach einem Jahr, drei Jahren oder auch schon nach drei Monaten sein.
Fabio: Wir haben uns kopfüber in das Projekt Qollezione gestürzt, ohne wirklich darüber nachzudenken wie schwierig es anfänglich sein wird. Dies war ein sehr wichtiger Prozess und wir haben sehr viel im konzeptuellen Bereich gelernt, aber auch auf operativer Ebene. Wie etwa, was es bedeutet in Serie zu produzieren. Es ist sehr komplex und war uns völlig fremd. Deshalb wollten wir etwas aufgreifen, das wir bereits mit mehr Leidenschaft als Wissen gemacht haben, um es zu verbessern.
Qollezione könnte man auch als sozial-ästhetische Reflexion der Südtiroler Kultur bezeichnen. Wie seht ihr das?
Anna: Das ist ein guter Ansatz, da unsere Kollektionen vor allem ein Reflexions- und Kommunikationsprojekt sind. Wir sind natürlich keine Anthropologen und wir wollten ja auch keine Dissertation über den blauen Schurz schreiben. Deshalb haben wir irgendwann die theoretische Recherche in Büchern und Museen hinter uns gelassen und beschlossen die Geschichte des Schurzes in unserer eigenen Geschichte zu verpacken und zu erzählen. Unser Ziel war es, dass sich die Menschen in diese Geschichte verlieben. Letztendlich wollen wir die Kleider verkaufen. Es ist unsere Sicht der Südtiroler Identität. Unser Konzept ist Traditionen zu sammeln und diese für das Heute neuzugestalten.
www.qollezione.com
Interview: Patrick Taschler
Patrick Taschler arbeitet nach einem Modestudium am Istituto Europeo
di Design als freier Journalist und Runway-Reporter. Seine Texte
erschienen in Brigitte Young Miss (BYM), GQ.com Deutschland,
Pool-Magazin und SZ-Magazin.
*Anna Quinz hat DAMS (Drama, Art and Music Studies) an der Universität von Bologna studiert. Nach ihrer Rückkehr nach Südtirol gründete sie 2007 das Lifestyle-Magazin „Cool_Schrank“ , aus welchem später die Kommunikationsagentur franzLab entstand.
Fabio Dalvit ist seit seinem abgebrochenen Ingenieurstudiums in Rovereto, und einem kurzen Intermezzo bei der Freien Universität Bozen im Kommunikationsbereich der Europäischen Akademie in Bozen tätig.
* Törggelen: Verkostung des neuen Weines, begleitet von gebratenen Kastanien und traditionellen Südtiroler Speisen wie Schlutzkrapfen, Knödel und Surfleisch in Bauernhöfen.