Repair als Technik, die Welt zu retten
Repair wurde zur Metapher für Designer, die in nachhaltigen Praxen keinen Verzicht, sondern einen verantwortungsbewussten Lebensstil sehen. In Anlehnung an eine Zeit, als Kleidung noch durch und durch funktionell war – und getragen wurde, bis sie verschlissen war.
Early Bird war die ARS Electronica, die schon 2010 das Motto Repair ausrief. In einer Welt, die an Klimawandel, Überwachung und Finanzkrise leidet, sei Wohlstand für alle zur Illusion geworden. Die Techniken für den Kurswechsel seien vorhanden. Man müsse einfach nur handeln – und mit der Reparatur beginnen – so das Mantra. Der Ruf verhallte. Erst im vergangenen Jahr wurde ein Gesinnungswandel spürbar. 2018 galt Nachhaltigkeit nicht länger als Utopie und wurde zum Innovationsvorsprung einer Industrie, welche die Kreislaufwirtschaft anstrebt.
Widerstand gegen die Zerstörung der Welt
Auch der Kunstbetrieb entdeckte das Thema. Im Juni 2019 ging die Ausstellung Repair and Design Futures am Rhode Island School of Design Museum (RISD) zu Ende. Wieder wurde Repair als Metapher eingesetzt - als eine Form von Widerstand gegen die Zerstörung der Umwelt. Die Ausstellungsobjekte reichten von japanischer Borokleidung über indische Kutch Quilts bis hin zu Schweizer Arbeitshosen. Die wissenschaftliche Untersuchung von Geflicktem, Gestopftem und Gedoppeltem sollte den Diskurs über sozial engagiertes Design-Denken anregen.
Eines der dort präsentierten Objekte war ein Reisemantel vom kalifornischen Label Dosa. Tragespuren, wie zum Beispiel Farbabrieb, dokumentieren die Reise des Trägers. Designt hat den Reisemantel Christina Kim, die sich an alten Kleidungstraditionen inspiriert. Sie nutzt haltbare Materialien und traditionelle Herstellungstechniken, um zeitlose Kleidungsstücke zu schaffen, die oft getragen und mit dem Träger eins werden. In die Kunst der Indigofärbetechnik wurde Kim von der ethnischen Gruppe der Miao in der chinesischen Provinz Guizhou eingeweiht.
"In der Wiederbelebung von alten asiatischen Reparaturtechniken zeigt sich eine Wertschätzung von Kleidung – in Anlehnung an eine Zeit, als Kleidung noch vorwiegend funktionell war."
Schönheitsideale hinterfragen
Ebenfalls 2018 lief die Ausstellung Fashion Unraveled im FIT Museum in New York. Gezeigt wurden Kleider, denen man die lange Tragedauer deutlich ansieht. Flicken, Risse und Spuren von Änderungen in Weite, Länge oder Stil sollen die persönlichen und körperlichen Beziehungen offenbaren, die Menschen zu ihrer Kleidung entwickeln. Die Kuratorin Colleen Hill sieht in der sichtbaren Reparatureine Unterwanderung des Modesystems, das die Vorstellung von gängigen Schönheitsidealen, angemessener Kleidung oder der Verbindung zwischen Mode und Reichtum in Frage gestellt.
In Wien läuft noch bis 9. September 2019 die Ausstellung Critical Care im Architekturzentrum Wien (AZW). Neben Architektur tauchte auch das Projekt #thisisnotashirt auf, das für ein alternatives Made in Bangladesh steht. Viele Einwohner des südasiatischen Staats arbeiten in der Fast Fashion, die in extremem Kontrast zur autochthonen Bekleidungstradition steht: Frauen bekommen einmal im Jahr traditionell einen Sari und Männer einen Lungi. Wenn die Kleidungsstücke aufgetragen sind, werden sie zu mehrlagigen Decken verarbeitet und auf diese Art weiterverwendet. Der Zusammenhalt der Stoffschichten ist durch dicht gesetzte Vorstiche gegeben.
Diese Nähtechnik ist in ähnlicher Form auch in der japanischen Handwerkstradition Sashiko zu finden. Zwar aus der Notwendigkeit entstanden, ist Sashiko durchaus als Verschönerung von lange Getragenem zu verstehen.
Breakthrough Designer
Zeitgenössische Formen von Repair sind Recycling und Upcycling. Der britische Männermode-Designer Christopher Raeburn (36) führt vor allem ausrangierte Materialien aus dem Militärwesen – wie etwa Fallschirmstoffe – einem neuen Zweck zu. In einem Interview im The Guardian, merkt er an, dass die Kategorie lange mit der Skepsis gegenüber der hausgemachten Ästhetik angekämpft hat. Für ihn sei indes immer klar gewesen, dass sich begehrliches Design und eine nachhaltige Infrastruktur vereinbaren lassen."Zeitgenössische Modedesigner verfolgen den Repair-Gedanken in aktionistischer Art – und bekommen positives Feedback"
Als Raeburn sein gleichnamiges Label 2009 gründete, mag er seiner Zeit voraus gewesen sein. 2016 wurde er in den Men of the Year Awards des Männermagazins GQ zum Breakthrough Designer gekürt. Seine #buynothing campaign die er am Black Friday 2018 launchte, ging viral. Er selbst stellte den Verkauf an dem Tag ein. In seinem Atelier hält er einmal im Jahr den Raeburn Repairs Open Day ab. Gegen Voranmeldung können Interessierte liebgewordene Kleider gratis reparieren lassen.
Die Kleider so lange wie möglich zu nutzen, ist eines der radikalsten Dinge, die Konsumenten in einer Welt des Überkonsums und der Fast Fashion tun können.
Nach der Apokalypse
Marine Serre zählt zu den schnellst wachsenden Labels in Frankreich. In der Kollektion Herbst/Winter 2019/20 zeigt die gleichnamige Designerin Abendkleider aus Tagesdecken. Gegenüber der Zeitschrift Vogue erläuterte sie ihr Konzept: “It’s after the apocalypse; a group of friends are underground - a community coming together. It’s a safe zone in which a new world is being created, a future world, and a new way to see fashion.”
Faustine Steinmetz, in London lebende Französin, lässt Kreationen und Bilder sprechen. Die Designerin hat sich mit ihrem radikalen Upcycling einen Namen gemacht. Sie löst die Textilien vollständig auf - oft ist es Denim - und spinnt, webt, knüpft und näht daraus neue Kleidungsstücke. Die so entstehenden Unikate zeigen neuartige Strukturen und Färbungen. Indem sie handwerkliche Techniken in zeitgenössische Styles übersetzt, schafft sie tragbare Kunststücke von nachhaltigem Charakter. Dass ihre Kreationen ein Kommentar auf die überkommene Modeindustrie sind, lässt sich an hyperbolischen Stylings in ihren Images ablesen. Zum Beispiel wenn sie Models mit zehn Zentimeter langen künstlichen Nägeln abbildet.
In sozialen Räumen arbeiten
Die britische Modedesignerin Bethany Williams möchte ein gesellschaftliches Problem nicht nur kommentieren, sondern auch in sozialen Räumen arbeiten und einen Wandel herbeiführen. Basis ihrer Arbeit ist die Kritische Theorie, deren Grundlagen sie sich im Bachelor-Studium Critical Fine Art Practice an der Universität von Brighton aneignete. Dort lernte sie wie Kunstpraxen als alternative Systeme die Auflehnung gegen Globalisierung und Homogenisierung ermöglichen. In einem Interview auf Dazed Digital sagte sie:
„Mode umfasst alle Industrien – von der Agrarkultur bis zur
Kommunikation. Die Industrie produziert achtzig Milliarden neue
Kleidungsstücke pro Jahr und beschäftigt ein Sechstel der
Weltbevölkerung – hat also große Auswirkungen auf den Planeten.“
Williams arbeitet ausschließlich mit recycelten und biologischen Materialien. In No address needed to join, ihrer Kollektion Frühjahr/Sommer 2019, verwendete sie Abfallmaterial aus der Buchdruckerei. Kooperationspartner waren das British Publishing House Hachette UK und The Quaker Mobile Library. Letztere macht den Verleih von Literatur für marginalisierte Teile der Bevölkerung zugänglich. Personen, die keinen fixen Wohnort haben, bleiben öffentliche Bücherei-Services verwehrt. Hachette liefert die Abfallprodukte aus dem Buchdruck, die Williams im italienischen San Patrignano mit anderen Arten von Vorproduktions-Abfällen kombiniert und zu Stoffen verwebt. San Patrignano ist ein Erziehungs- und Rehabilitationsprogramm für drogenabhängige Menschen, denen darin traditionelles Handwerk und Gemeinschaftssinn vermittelt wird. Wenn Williams ihre Kollektion präsentiert, dann arbeitet sie mit Sozial- und Umweltaktivisten – und TIH Models, einer sozial engagierten Modellagentur, die ausschließlich Individuen in einzigartigen Lebensumständen beschäftigt.
Mode als Gesellschaftskritik
Der Künstler Jojo Gronostay hat an der Akademie der Künste in Wien in der Klasse von Martin Goodman studiert. Sohn eines ghanaesischen Vaters, startete er das Kunstprojekt Dead White Men’s Clothes in Form eines Modelabels. Sein Thema ist das Phänomen der Aneignung in der Mode – und vor allem das Imitieren eines anderen Lebensstils durch Kleidung. Bei seinen Recherchen stieß er am Kantamanto Markt in Ghana auf Billigmode aus China und Second Hand-Ware aus aller Welt. Gronostay kaufte einzelne Kleidungsstücke und brachte in seinem Atelier sein eigenes Label und Logo an, um aus der ausrangierten Massenware begehrliche Einzelstücke zu machen. Dabei gehe es ihm nicht nur um den veränderten Kontext, sondern auch um Postkolonialismus und eine aussterbende Kultur in Afrika. Viele junge Afrikaner seien sehr westlich orientiert und die Second Hand-Kleidung gibt ihnen die Möglichkeit, sich diese andere Welt anzueignen. Dazu der Künstler in einem Interview auf i-d.vice.com„Die Modewelt ist heute sehr unübersichtlich, dennoch würde ich sagen, dass es eine Tendenz zu einem wachsenden Moralismus gibt. Modelabels wie Section 8, Teflar, Hood by Air und auch Vetements haben vor ein paar Jahren begonnen, frischen Wind in die nach 2001 doch oft sehr langweilige Modebranche zu bringen. Mode als Gesellschaftskritik macht für mich Sinn, da man viele Menschen damit erreichen kann. Wahrscheinlich mehr als mit klassischer Kunst."
Der Name des Labels wurzelt in den 1970er Jahren, als die erste westliche Second Hand-Kleidung in Ghana eintraf. Die Ghanaesen konnten nicht glauben, dass so gut erhaltene Kleidung einfach weggeben wird und dachten, dass die Besitzer wohl gestorben sein mussten
Utopie einer theatralischen Modewelt
Christoph Rumpfs Arbeit scheint gänzlich unpolitisch – und eher utopisch zu sein. Er schwelgt gerne im Kreationsprozess und hat einen Hang zum Narrativ. In der Kollektion, die ihm im April 2019 den Modepreis des 34. Internationalen Mode- und Fotografie-Festival von Hyéres (FRA) einbrachte, erzählt er die Geschichte eines verlorenen Prinzen. Dieser wächst im Dschungel auf und begibt sich auf die Suche nach seinen adligen Wurzeln. Die majestätischen Modelle, die er entwickelt, machen seine Art des Upcycling fast notwendig. Die überzeichneten Silhouetten bedürfen einer Steifheit, die gewöhnliche Stoffe nicht haben. Rumpf greift zu Materialien wie Perserteppichen oder leichtem Brokat. Letzterem vermittelt er mit einer Wattierung die Statik einer aufgeblasenen Rettungsweste. Der 25-Jährige Österreicher studiert noch in der Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Als Student steht er wohl auch vor der Herausforderung, aus nichts etwas zu machen. Stoffe aus Flohmärkten oder Restbeständen zu verwenden, hat also auch eine wirtschaftliche Komponente.Das Abstoßende am Schönen
„Klar geht es mir um Nachhaltigkeit, das ist selbstverständlich, sagt Anita Steinwidder, eine weitere österreichische Designerin. Aber sie kann durch das Upcycling auch die nicht unerheblichen Probleme der Stoffbeschaffung umgehen.Die zum Modedesign übergegangene österreichische Architektin verwendet alte Socken und Jersey aus dem Altkleiderlager. Die Technik zum Upcycling von Socken hat sie im eigenen Labor entwickelt. Die Socken sind in den neuen Kreationen mitunter deutlich wiederzuerkennen. Es ist das Abstoßende am Schönen, das Steinwidder fasziniert. In einem Artikel auf Austrianfashion.net sagte sie:
„Ich möchte etwas mitnehmen, von dem, was die Dinge einmal waren. Deshalb verfremde ich mein Material nicht komplett.“
Gesellschaftlich akzeptiert
Lange marginalisiert, haben nachhaltige Praxen jetzt gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Designer, die konsequent avancierte Upcycling-Strategien verfolgen, sind damit erfolgreich – und das sogar in der Luxusindustrie, wie Marine Serre, Faustine Steinmetz und Bethany Williams zeigen. Sah sich die Generation davor durch Nachhaltigkeit noch in ihrer Existenz bedroht, so zeigen die jungen Talente, wie die Modeindustrie zur Lösung von ökologischen und sozialen Problemen beitragen kann; und das ohne an Begehrlichkeit zu verlieren.Text und Recherche: Hildegard Suntinger, Claudia Rosa Lukas (02.09.2019)