SLAY: Ist es akzeptabel, Tiere für Mode zu töten?
Dieser heiklen Frage stellt sich der Dokumentarfilm SLAY, der kürzlich im Wiener Schikaneder Kino sowie an der Universität Graz in Anwesenheit der Filmemacherin Rebecca Cappelli vorgestellt wurde. Sie begab sich dafür hinter die gut gehüteten Geheimnisse der Leder-, Pelz- und Wollindustrie.
Es braucht ein neues Bewusstsein dafür, findet auch Rebecca Cappelli: „Ich bin von einem Kind, das Häschen liebt, zu jemandem geworden, der so selbstverständlich damit umgeht, eine Jacke aus ihrem Fell zu tragen. Tiere leiden für unsere Mode – ist sie das wert?“ Eine Frage, deren Beantwortung einfach scheint – es aber leider nicht ist. Vor ihrer Offenbarung lag eine weite Reise, die Cappelli in der 2022 erschienenen Doku SLAY filmisch festhielt.
Mit fremden Federn schmücken
SLAY startet mit Bildern, die Aufnahmen von Tierherden nicht unähnlich sind: Streetstyle-Fotograf*innen tummeln sich in Scharen vor den Toren der Paris Fashion Week. Durch das Blitzlichtgewitter schlängeln sich geladene Gäste in auffälliger Tracht aus Federn, Pelz und natürlich Leder. „Obwohl die Modeindustrie in den letzten Jahren mehr auf Nachhaltigkeit einging, gibt es immer noch Themen, über die niemand reden möchte“, sagt Rebecca Cappelli, während sie ihren Hund streichelt. Ihn hat sie aus einer Tötungsstation gerettet, die streunende Hunde für Fleisch, aber auch für ihren Pelz schlachtet. Seitdem begann Cappellis Aktivismus in Sachen Tierschutz. Doch dann, eines Abends, mit Blick in den Spiegel, realisierte sie plötzlich: „Pelzkragen, Lederhandtasche, Lederstiefel … Ich bin keine Tierliebhaberin, ich trage Tiere.“
Wolf im Schafspelz
Pelz ist wohl das kontroverseste Material und das schon lange. Viele Luxuslabels wie beispielsweise Gucci strichen Echtpelz in den letzten Jahren offiziell aus ihrem Sortiment. Die Pelzindustrie kämpft gegen diesen Boykott damit an, die Thematik vom Problem Tierleid in eine Plastikdebatte umzumünzen. Kunstpelz, so das Hauptargument, ist erdölbasiert, setzt Mikroplastik frei und ist im Gegensatz zu Echtpelz nicht biologisch abbaubar. „In Wirklichkeit sind nur ungefähr 25 % eines Echtpelzes abbaubar. Schuld sind Chemikalien wie Formaldehyd und Schwermetalle, die den Pelz konservieren“, kommentiert Aktivistin Cappelli. Statt vielen verstörenden Bildern nutzt die Doku Zahlen und Fakten – und die sind beunruhigend genug. Denn ihnen zufolge ist die globale Pelzindustrie trotz wachsendem Bewusstsein für Tierschutz alles andere als in Schwierigkeiten.
Kalkulierter Skandal
Dass das Thema Pelz ein heißes Eisen ist, zeigte die kürzlich stattgefundene Couture Show des Modehauses Schiaparelli. Chefdesigner Daniel Roseberry zog darin Inspiration aus Dante Alighieri’s epischem Gedicht Inferno. Die Köpfe von Löwe, Leopard und Wolf, die darin Sünden symbolisieren, ließ er täuschend echt aus Kunstpelz anfertigen und an Models wie Naomi Campbell über den Runway laufen. Die Looks lösten eine mediale Welle aus. Eine kunstvolle Verbeugung vor Dante nannten es die einen, einen Affront gegen den Tierschutz schrien die anderen. Organisationen wie die Human Society Europe verschickten Stellungnahmen, diese Show verherrliche die Vorstellung von Tieren als Trophäen. Die Tierschutzorganisation PETA dagegen lobte Roseberry überraschenderweise für den Einsatz von Kunstpelz. Kreative Freiheit hin oder her - die Marketingtaktik dahinter ging auf und Schiaparelli viral.
Modemarken stehen heute unter wachsendem Druck, die Werte der Verbraucher*innen zu Themen wie Tierschutz, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit widerzuspiegeln. Empörung scheint aber dennoch nur der Einsatz von Pelz zu provozieren. Ein Blick nach Österreich zeigt, dass sich kleine Modelabels diesem Problem auf kreative Weise annehmen. Und das gilt sogar für den Nachwuchs alteingesessener Kürschnereien: Die Wiener Labels enVie und Refurried arbeiten beispielsweise mit Recyclingpelz, der umgearbeitet bzw. als Futter für Jacken eingesetzt wird.
Leder = Abfallprodukt?
Zurück zu SLAY. Leder ist die absolute Cash Cow der Luxusindustrie. 1,5 Milliarden Tiere werden jährlich für Handtaschen, Schuhe oder Gürtel gehäutet. Global verbucht die Lederindustrie dabei einen Jahresumsatz von 82 Milliarden US-Dollar. Leder, ein quasi nachhaltiges Abfallprodukt der Fleischproduktion? Leider ein Irrglaube. Denn die ökonomische Nutzung von Tieren orientiert sich nicht am Tierwohl, sondern an Profitmaximierung. Selbst einer Milchkuh droht ein Schicksal als Handtasche oder Sofa, sobald sie nicht mehr genug Milch gibt.
Wo genau das Leder für ihre High-End-Produkte herkommen, will aber kaum ein Label transparent angeben. Wegen fehlender Antworten reist Rebecca Cappelli deshalb nach Indien, dem Hauptproduktionsland von Rindsleder. Hier zeigt sich vor allem die Umweltbelastung durch Chemikalien wie Chrom, die es zum Gerben braucht. Umgerechnet 20 Pools in Olympiagröße – also 50x25 Meter - voll chemisch belastetem Abwasser werden hier jeden Tag in öffentliche Gewässer entsorgt. Die Haut eines einzigen Tieres benötigt nämlich 100.000 Liter Wasser, bis sie zu Leder wird. Egal ob von Rind, Schwein, Schaf oder Exoten wie Krokodil – Leder ist nicht nur ein immens großer Wasserverschmutzer, sondern auch –verbraucher. Und das ist auch beim prestigeträchtigen Luxuslabel mit dem Verkaufsargument Made in Italy nicht anders.
Was also tun? Auch bei Leder ist das Verkaufsargument der schlechte ökologische Fußabdruck von Kunststoffalternativen. Viele Unternehmen arbeiten deshalb auf Hochtouren an pflanzenbasierten Lederimitaten. Vielversprechende und umweltschonende Alternativen gibt es bereits: Das Leder Mylo entsteht aus dem Myzel von Pilzen, Pinatex aus Ananas und Desserto aus Kakteen. Zoa vom Unternehmen Modern Meadow wird im Labor gezüchtet und die pflanzliche Wolle Weganool kommt der tierischen täuschend nahe.
Das schwarze Schaf der Naturmaterialien
Neben der Pelz- und Lederindustrie nimmt die Dokumentation auch Schafwolle in die Mangel. Denn auch, wenn für deren Gewinnung eigentlich kein Tier umkommen muss, sieht die Realität oft anders aus. Cappelli reist dafür in das Land, aus dem rund 80 % der weltweiten Merinowolle stammt: Australien. Das Bild von friedlich grasenden Schafen auf grünen Hügeln lässt sich auch hier noch finden. Schwieriger zu beurteilen wird es, was hinter den Fassaden passiert. Als einziges Land der Welt erlaubt Australien beispielsweise noch die schmerzhafte Mulesing-Methode, Herden wachsen auf tausende Tiere an und Lämmer werden oft auch im Winter geboren, um möglichst viel Wollertrag zu generieren. Dass der Winter hier zu rau ist und ein großer Teil der Mutterschafe als auch der Lämmchen nicht überlebt, fällt bei dieser Menge an Tieren kaum ins Gewicht. Tatsachen wie diese werden oft verdrängt, wenn man Wolle ausschließlich als nachhaltiges Naturmaterial anpreist, wie Emma Håkansson von der Organisation Collective Fashion Justice in der Doku erklärt: „Wenn man sagt, dass Wolle eine nachhaltige Faser ist, dann stimmt das. Aber der Prozess, der in der Massenfertigung oft dazu benötigt wird, um sie für uns tragbar zu machen, ist es nicht.“ Wie so oft, macht offensichtlich auch bei Naturmaterialien die Menge das Gift.Fazit ohne Fazit
Ist es also genug, zertifizierte, mulesing-freie Bio-Wolle von glücklichen Schafen zu kaufen oder ist dies nur Augenauswischerei? Was macht es mit unserer Umwelt, wenn wir statt tierischen, nur noch auf synthetische Materialien setzen, die nicht biologisch abbaubar sind? Und was ist mit den Menschen, die von der Leder- oder Wollindustrie leben? SLAY kann in diesen Fragen keine konkrete Lösung liefern. Wie auch, denn die Modewelt hat sich schon lange zu einem der größten globalen Wirtschaftszweige ausgewachsen. Wie so oft liegt es an der Politik, gesetzlichen Regulierungen, aber auch an Verbraucher*innen, einen Mittelweg zu finden, in dem Menschen Tiere nicht mehr ausbeuten. Tierische Materialien nicht nur als seelenlosen Rohstoff zu sehen, sondern auch das Lebewesen dahinter. Denn es geht uns alle etwas an, wie Samata Pattinson, CEO der Organisation Red Carpet Green Dress am Ende der Doku perfekt zusammen: „Ich höre oft Sätze wie ‚Das geht mich nichts an, ich interessiere mich nicht für Mode‘. Gleichzeitig sitzen sie mir in Kleidung gegenüber - und sobald man Kleidung trägt, ist man Teil der Modeindustrie, ob man will oder nicht.“ Erst das Bewusstsein für eine Problematik ist der Schlüssel zur Veränderung.„Wir müssen nicht ständig etwas Neues kaufen. Ich habe mehr Schuhe und Taschen, als ich brauche und könnte sie tragen, bis sie auseinanderfallen“, sagt Rebecca Cappelli auf dem Boden ihres Schlafzimmers sitzend und spricht damit etwas aus, das leichter gesagt, als getan ist. Denn es wäre nicht die Modewelt, wenn sie uns nicht regelmäßig mit neuen Trends zum Kaufen verführen würde. Die Tierschutzaktivistin beschloss nach ihrer Recherche, tierische Materialien aus ihrer Garderobe zu verbannen. Der Film entlässt uns nach 86 Minuten mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund: In der Zeit, in der Sie diesen Film gesehen haben, wurden mindestens 500.000 Tiere für Mode getötet. Nicht eines davon aus Notwendigkeit.
Die Dokumentation SLAY kann derzeit kostenlos auf WaterBear gestreamt werden.
WaterBear ist die erste interaktive Streaming-Plattform, die sich der Zukunft unseres Planeten widmet. Es bietet preisgekrönte Inhalte, ein globales Netzwerk von über 75 gemeinnützigen Partnern und ermöglicht es den Mitgliedern, direkte Maßnahmen zu ergreifen, um über das Betrachten der Inhalte hinauszugehen, tiefer einzutauchen, mehr zu lernen und Maßnahmen zu ergreifen.
Die Broschüre zum Film steht unter https://www.slay.film/slay-booklet zum Download bereit.
Titelbild: Booklet © SLAY
Hintergrundbilder: Mason Unrau und m0851 / Unsplash
Text: Jenni Koutni (05.02.2023)