Textilmesse Modtissimo in Porto
Textilmesse Modtissimo in Porto

Textil- und Bekleidungsproduktion: Portugal will mit Design- und Technologie-Expertise wachsen

Portugal möchte bis 2025 Weltmarktführer in der Produktion von hochwertigen Design- und Funktionsprodukten werden. In der einsetzenden Nachhaltigkeitsbewegung hat die iberische Halbinsel nicht zuletzt einen geographischen Vorteil. Außerdem verfügt sie mit Modedesigntalenten wie Marques Almeida auch über enormes Kreativpotenzial.

Der portugiesische Textil- und Bekleidungsproduktionssektor hat in den vergangenen Dekaden eine enorme Entwicklung genommen. 2017 erreichte das Land umsatzmäßig Platz fünf der europäischen Bekleidungsproduktionsländer – hinter Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien (ex aequo). Aktuell erwirtschaftet die portugiesische Textil- und Bekleidungsindustrie mit 12.300 Unternehmen und an die 140.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von 7,8 Mrd. Euro. Dabei respektiert das Land die Bestimmungen des internationalen Arbeitsrechts. Textilarbeiter_innen erhalten 14-mal pro Jahr einen Mindestlohn von 740 Euro, der aktuell wieder erhöht werden soll. Das ermöglicht diesen einen angemessenen Lebensstandard. Mit 650 bis 900 Euro pro Monat könne man in und um Porto ganz gut leben, so idealista.pt. Zum Vergleich: Der Mindestlohn in Deutschland ist doppelt so hoch.

Auf diesen Erfolgen will sich Portugal aber nicht ausruhen. Das Land will bis 2025 Weltmarktführer in der Produktion von hochwertigen Design- und Funktionsprodukten werden – und promotet seine Expertise über die Handelsmesse Modtissimo, die einen Überblick über das nationale Angebot liefert. Zur vergangenen Veranstaltung im Oktober 2021 war Österreich als Gastland mit einem eigenen Stand vertreten. Auch Austrianfashion.net war eingeladen und konnte sich auf der Messe ein Bild vom aufstrebenden portugiesischen Textil- und Bekleidungssektor machen. Co-Gastgeber war die Portugal Global - Trade & Investment Agency (AICEP), die als Ansprechpartner für österreichische Labels und Unternehmen fungiert, die eine geeignete Produktionsmöglichkeit in Portugal suchen. Weitere Anlaufstellen sind die Außenwirtschaft Österreich und die portugiesische Botschaft in Wien.

1992 gegründet, geht die B2B-Messe für Stoffe, Accessoires, Damen-, Herren- und Kinderbekleidung vom 16. bis 17. Februar 2022 in die 59. Auflage. Bei der vergangenen Veranstaltung im Oktober 2021 wurden 280 Aussteller gezählt. 


Textilmesse Modtissimo

Alfandega do Porto

Alfândega do Porto

Modtissimo ist die älteste Textilmesse auf der iberischen Halbinsel und findet zweimal jährlich an zwei Tagen in Porto statt. Veranstaltungsort ist im Sommer die Altstadt von Porto und im Winter das Flughafengebäude. In der Altstadt ist die Messe im Alfândega do Porto untergebracht. Das Gebäude wurde 1822 als Zollhaus errichtet und von Eduardo Souto de Moura renoviert, der 2011 den Pritzker Architekturpreis erhielt.

Laut Messeorganisation ist die Modtissimo ein Treffen der portugiesischen Textilfamilie, ermöglicht Reflexionen und gibt Impulse für Innovationen. Im Speckgürtel um die 238.000-Einwohner-Gemeinde Porto sind fast 90 Prozent der Textilbetriebe des Landes innerhalb einer Autostunde erreichbar. Hier befinden sich Produzenten wie olmac aus Cabeçudos, der Marken wie Mammut, Fjäll Räven und Tiger of Sweden zu seinen Kunden zählt.

Alfandega do Porto

Textilmesse Modtissimo, Alfândega do Porto

Der wachsenden Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen für den Textil- und Modesektor begegnet die Messe mit einer Reihe an Aktivitäten: In der Ausstellung  iTech Style werden die wichtigsten Innovationen portugiesischer Hersteller präsentiert. Außerdem sind Forschungs- und Entwicklungsunternehmen präsent, welche die gesamte Wertschöpfungskette abbilden – von der Spinnerei bis zur Bekleidung – einschließlich technischer Bekleidung. In Kooperation mit dem Technologiezentrum CITEVE, wurde ein großer iTech Style Green Circle entwickelt. Die Präsentationen werden von Konferenzen und Seminaren begleitet, in welchen die Zukunft der Textil- und Modebranche diskutiert wird.

Modtissimo Textiles

Textilmesse Modtissimo in Porto

Modtissimo Trade Show

Fokus auf hochspezialisierte Nischen

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich Portugal den fünften Platz unter den führenden europäischen Bekleidungsproduktionsländern erst erarbeiten musste. Denn bis 1995 war das Land für seine relativ geringen Produktionskosten im Bekleidungs- und Textilsektor bekannt. Mit der Billiglohn-Konkurrenz aus Fernost kam die Wende. Es wurde klar, dass die Zukunft nur in hochspezialisierten Nischen liegen kann und das Land investierte gezielt in zukunftsorientierte Produktionstechnologien und technische Stoffe. In der ersten Dekade der Nullerjahre wurde dann die Basis für neue industrielle Strukturen gelegt - um im digitalen Wandel bestehen zu können. Die Strategie bewährte sich. Denn als in der Weltwirtschaftskrise ab 2009 innerhalb einer Dekade fast 15 Prozent der Textilfabriken schließen mussten, wuchsen die Umsätze weiter.

Bedeutende Ökonomie

Heute ist die portugiesische Textil- und Bekleidungsindustrie eine der wichtigsten nationalen Ökonomien und hat mit einem Anteil von 18 Prozent die höchste Beschäftigungsrate in der produzierenden Industrie. Damit rangiert der Sektor noch vor der Lebensmittelindustrie, deren Anteil bei 14 Prozent liegt. Vergleicht man die Volumina von Textil- und Bekleidungsproduktion im Zeitraum 2009 bis 2018, dann liegen diese bei etwa 50:50. In der Textilproduktion fallen die höchsten Volumina auf die Weberei (10%) und in Veredlung (7%). Der Anteil von Textilinnovationen beträgt acht Prozent. Die meisten portugiesischen Konfektionsstoffe werden in Porto und Umgebung hergestellt. Dadurch bleiben die Transportwege zu den Veredlern kurz.
Die höchsten Umsatzsteigerungen konnten in der Herstellung von Textilien für den technischen und industriellen Bedarf erzielt werden. Der Sektor wuchs um 149 Prozent auf 266 Millionen Euro.

Größte Exportnation Spanien

2019, im Jahr vor der Pandemie, exportierte der portugiesische Textilproduktionssektor Waren im Wert von 5.259 Millionen Euro. Die größten Exportnationen sind Spanien (31%), Frankreich (13%) und Deutschland (8%). Neben deutschen Modemarken wie Falke, Joop, Mey und Kuhnert, lassen auch deutsche Automobilunternehmen in Portugal produzieren. Bei letzteren liegt der Fokus auf technischen Textilien. Das stärkste Exportwachstum wurde 2019 in USA, Frankreich und Türkei verzeichnet.

Modtissimo, Oktober 2021, Porto

Hauptexportprodukte Jersey, Strick und Häkelei

Im aktuellsten Umsatzranking der Exportprodukte der Textil- und Bekleidungsindustrie (Januar bis Juli 2021) führen gestrickte oder gehäkelte T-Shirts, Leibchen und andere Westen. Das Segment erreichte einen Umsatz von 535,1 Mio. Euro bei einem Anteil von 18 Prozent.
Geht es nach dem größten Wachstum in absoluten Zahlen, dann zeigt sich eine zunehmende Nachfrage nach Baumwollgarnen (keine Nähgarne) mit mindestens 85 Prozent Baumwollanteil (+45%) und gewebten Baumwollstoffen aus überwiegend Baumwolle (+32%).

Dritthöchste  Ingenieursquote in der EU

Aktuell hat Portugal die dritthöchste Ingenieursquote in der Europäischen Union und verzeichnet eine dynamische Entwicklung im IT Sektor. Bereits 2019 wurden 25 Prozent der Umsätze in Portugals Textilindustrie mit  technischen Textilien gemacht – Tendenz steigend. Der Fokus liegt auf Stoffen, die wärmeisolierend, thermosensitiv sowie umweltfreundlich sind. Die stärkste Exportnation ist Spanien (25%) – gefolgt von Frankreich (15%), Deutschland (9%) und USA (8%). Auffallend ist, dass die Exporte auch in der Pandemie gestiegen sind - mit Ausnahme von Spanien, wo ein Rückgang von -17,7% zu verzeichnen war.

Technologiezentrum Citeve

Einen wesentlichen Beitrag zur zukunftsweisenden Ausrichtung des Textil- und Bekleidungsproduktionsstandorts liefert das private gemeinnützige portugiesische Technologiezentrum Citeve mit Sitz in Vila Nova de Famalicão im Norden Portugals. Um die Jahrtausendwende gegründet, begleitet es Unternehmen der Textil- und Bekleidungsbranche bei der Entwicklung von technischen, funktionalen und intelligenten Materialien. Das Leistungsspektrum umfasst Produktentwurf, Prototypenerstellung, die Durchführung von Tests und die Entwicklung von innovativen Anwendungen. Die Auftraggeber kommen aus den Bereichen Kleidung, Sicherheitskleidung, Haushaltswäsche und Automobil. Kompetenz im Bereich Nanotechnologie konnte durch die Errichtung eines eigenen Instituts aufgebaut werden, das mit drei portugiesischen Universitäten kooperiert  – Minho, Porto und Aveiro.
Weiters hat  Citeve eine Expertise in Ökozertifizierungen in einem globalen Kontext. Pro Jahr werden mehr als 100.000 Proben aus biologischen und nachwachsenden Fasern ausgewertet, um deren Auswirkungen auf die Haut und die Gesundheit zu testen. Außerdem werden auch tierische Fasern analysiert, zum Beispiel um zwischen Kaschmir und Mohair unterscheiden zu können.

Portugiesische Modedesigner_innen

Mit Modelabels wie Marques Almeida  verfügt Portugal auch über großes kreatives Talent. Die Gründer - Marta Marques und Paulo Almeida – haben an der Central Saint Martins in London studiert und in ihren Anfängen mit ihrem innovativen Einsatz von Denim große Aufmerksamkeit erregt. 2015 gewann das Duo den LVMH Prize, den höchstdotierten Preis für aufstrebende Modedesigner.  
Zwei der begehrtesten Preise holte sich auch Felipe Oliveira Baptista. Er gewann gleich bei der Gründung seines Labels 2003 den Hyères International Fashion and Photography Festival Award und bei den Andam/LVMH Fashion Awards. Seit 2009 arbeitete er parallel für Lacoste und gab sein Label 2014 schließlich auf. Bei Lacoste verdoppelte er den Umsatz von 2009 bis 2016 auf zwei Milliarden Euro (Quelle: Wikipedia). Zuletzt war Baptista für die LVMH-Brand Kenzo tätig.
Als vielversprechendes neues Talent wird Joana Duarte gehandelt. Sie absolvierte ihren Master an der Kingston Universität in London und gründete  dann ihr eigenes Label Béhen. In ihrem Designkonzept ist die indisch-/portugiesische Modedesignerin von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit geleitet. Das zeigt sich in Upcycling von gefundenen Vintagestoffen und der Wiederverwendung von antiken Stoffen aus aller Welt, die sie poetisch interpretiert – in Form von unerzählten Geschichten von Frauen. Geschichten, die zum Beispiel in alten Sari- und Berberstoffen mitschwingen. Ihre  Kollektion wird nach ethischen Aspekten von Frauengemeinschaften weltweit hergestellt. Ein Teil des Erlöses kommt der Bildung von syrischen Kindern zugute. Gegenüber Vogue USA sagte sie: „It’s all about women joining forces and restoring faith in fashion.”

Innovation in Design und Technologie

Bis 2025 möchte Portugal die Länder Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien überholen – und zum Weltmarktführer in der Produktion von hochwertigen Design- und Funktionsprodukten werden. Dazu möchte das Land weiter auf Innovation setzen – sowohl im Design als auch in der Technologie. Plan ist es, auch in fordernde Marktsegmente einzutreten, da diese eine Erhöhung der Gewinnmargen ermöglichen.


Modtissimo Trade Show

Die kommende Ausgabe der B2B Messe Modtissimo findet am 16. und 17. Februar 2022 in Porto am Flughafengelände Exponor statt.

Hildegard Suntinger (09.02.2022)

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