Textiler Aufbruch
Gilbert Bretterbauer leitet die Studienrichtung „textil.kunst.design“ an der Kunstuniversität Linz, zudem arbeitet er als Textilkünstler: Er kreiert Teppiche, Sitzmöbel, Lampen und Objekte, die er in Verbindung zum Raum stellt.
Woher kommt Ihre Begeisterung für Textilien?
Ich habe als junger Mann eine HTL besucht und wurde dort zum Textilingenieur ausgebildet. Das war eine rein technische Ausbildung, aber eine gute Basis. Ich war seit meiner Kindheit an künstlerischem Gestalten interessiert, diesen Fokus habe ich nie verloren. Viele meiner frühen Zeichnungen hatten ein Nahverhältnis zur textilen Umsetzung. Mich hat die Materialität von Dingen beschäftigt, weniger der persönliche künstlerische Ausdruck im Bild, als vielmehr das Bild als Träger eines dekorativen Elements. Nach meinem HTL-Abschluss wurde ich auf der Universität für angewandte Kunst im Bereich textile Kunst aufgenommen und habe parallel Malerei studiert. Für mich war das eine ideale Kombination: das technische Handwerk und der künstlerische Umgang damit.
Gab es Galerien, die sich dafür interessierten?
Die Galerie von Peter Pakesch war für mich sehr wichtig, Franz West war auch dort vertreten, er schätzte meine Arbeiten. Trotzdem war ich in dieser Gruppe um West eine Randerscheinung. Textilkunst war damals verpönt. Man hat sie als „weiblich“ bezeichnet, als „Handwerk“ und „Näherei“. Sie wurde weder verstanden noch geschätzt. Ich habe mein Studium teilweise durch Gobelin-Weberei finanziert. Franz West hat diese Tapisserien gesehen und sofort mit seinen Arbeiten in Verbindung gesetzt. Ich habe teilweise Sachen für ihn angefertigt, wir hatten gemeinsame Ausstellungen in New York und in Los Angeles. Für West war die Oberfläche wichtig, das Haptische. Dadurch hat auch meine Arbeit eine unglaubliche Bestätigung bekommen.
Wann gab es um Umdenken, eine größere Aufmerksamkeit für diesen Bereich?
Wir sind noch mitten im Umbruch. Im letzten Jahr gab es große Ausstellungen in Sachen Textilkunst. Von Wolfsburg über Paris bis Lyon war das einst verpönte Thema plötzlich wieder interessant. Man sieht auch auf Kunstmessen und in Galerien, das Textilien als Material wieder verstärkt auftauchen. Viele Künstler haben Textilien verwendet, von Peter Kogler über Erwin Wurm bis Heimo Zobernig, sie wollten diese Materialien in ihre Kunst einbeziehen. Auch international gab es spannende Künstlerinnen wie Eva Hesse, die wunderbare Kunstwerke aus Textilien schuf. Aber die wenigsten bezeichneten sich als Textilkünstler. Ich wollte immer explizit Textilkunst machen.
Eine zentrale Frage ist, wo die Grenzen zwischen Dekor-Gegenstand, Design und Kunst verlaufen. Lassen sich diese immer eindeutig ziehen?
Natürlich nicht, wahrscheinlich war dieser Bereich gerade deshalb lange verpönt. Die Leute können die Arbeiten nicht genau einordnen, aber sie brauchen Schubladen. Ist das noch Kunst? Genau diese Frage versuche ich zu bespielen. Ich kann sie auch nicht beantworten. Und das ist auch gut so, die Bereiche vermischen sich mehr und mehr. Franz West hat schon gesagt, ein Sessel ist eine Skulptur. Eine Sitzbank kann eine Art von Befindlichkeit sein. Ich beschäftige mich mit dem Raum, da kommen viele Gegenstände vor: von Möbeln über Design bis zu Kunst, Wände, Decke, Beleuchtung, Boden. Ich habe früh begonnen, mich mit Teppichen zu beschäftigen und wurde dabei stark von kalifornischen Künstlerkreisen wie jener um Mike Kelly bestätigt. Diese Tradition ist dort nicht negativ belastet. Ich habe damals in Los Angeles gelebt und gearbeitet. Dort habe ich mehr Zuspruch erfahren als in Wien, wo das nicht verstanden wurde.
Warum war man hierzulande so negativ eingestellt?
Ich verstehe das auch nicht, es gibt doch eine lange Tradition, von Bauhaus über die Wiener Werkstätten. Auch nach dem Krieg gab es starke Positionen, der Künstler Fritz Riedl etwa war ein begabter Weber. Viele Maler hatten eine große Affinität zu Textilien. In den 1960er und 1970er Jahren waren die großen Positionen des Webens allerdings vorbei, es gab keine Finanzierungen mehr für diese riesigen Aufträge. Tapisserien waren zu teuer.
Gleichzeitig gab es mit Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel eine feministische Aneignung dieses Genres.
Von Trockel gibt es großartige Stickereien, sie hat das Textile ganz bewusst verwendet und neu interpretiert. Als Mann war es nicht leicht, in diesem Bereich so weit zu gehen. Ich frage mich auch in meiner Tätigkeit als Universitätsprofessor, warum sich so viele Frauen bewerben: von 116 Studierenden sind 113 Frauen. Mich verwundert das: Von meinen ersten künstlerischen Schritten an dachte ich nie, das Textile sei weiblich konnotiert. Für mich ist das ein vollkommen neutrales Feld.
In welchen Feldern arbeiten die meisten Studierenden später?
Ich habe noch keine Abschlussklassen, um das sagen zu können. Ich bemühe mich darum, dass sie in Kreativ-Design-Ateliers von Firmen unterkommen, in Weberein, im Dekorsektor oder in der Homegestaltung. Einige haben bereits ein kleines Business gegründet. Andere können im künstlerischen Bereich arbeiten. Das Phänomen des Textilen ist für mich eine riesige Welt. Wer das gelernt hat, der kann überall im Kreativbereich arbeiten. Der kann ins Grafische gehen, ins Handwerkliche, in die Raumgestaltung, die Architektur, ins rein Technische, ins Entwerfen von Kollektionen. Es gibt neue Faserstoffe, Textilien werden immer wichtig als Datenträger. Das geht auch in die Mode hinein.
Apropos Mode: Da gibt es gerade verstärkt den Trend, Handwerk als neuen Luxus zu definieren. Spüren Sie das auch in Ihrem Bereich?
Der High-Luxury-Sektor wird immer wichtig. Ich wollte als Künstler immer Teppiche und Stoffe anbieten, deren Qualität und Ausführung speziell sind. Unikate und keine Massenware. Das geht nur im Luxusbereich, die Kunden wollen Einzelstücke. Meine Teppiche werden auch nicht an die Wand gehängt, sie sind für den Gebrauch gemacht. Ich kenne Kunstsammler, die schon alles haben, deren Wände sind voll mit Kunstwerken. Die suchen etwas Neues. Was sie noch nicht besitzen, ist Kunst am Boden. Kunst, mit der sie leben, die sie benützen können.
Steigt die Nachfrage auch, weil es in den letzten Jahren hip wurde Kunst zu sammeln?
Absolut. Es ist ein langer Prozess, bis die Menschen umdenken und erkennen, dass Kunst auch am Boden liegen kann. Dass sie in den Raum hineingeht und nicht nur an den Wänden hängt. Kunst in Museen gibt es ohnehin schon genug. Der Bereich des Textilen wurde viel zu lange ausgeklammert. Da gibt es Nachholbedarf. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft Textilkunst wichtiger werden wird.
Was sind internationale Trends?
Viele Textilkünstlerinnen und -künstler werden gerade wieder entdeckt. Noa Eshkol, eine israelische Künstlerin, hat riesige Textilarbeiten genäht, die nie gezeigt wurden. Kürzlich waren sie im TB21 in Wien erstmals zu sehen. Es herrscht Aufbruchsstimmung, nur die Käuferschicht muss noch nachziehen. Nach meinem Studium wurden viele Werkstätten geschlossen, es gab keine Textilausbildungen. Die Kunstuniversität in Linz ist die einzige heimische Universität, die dieses Studium anbietet. Dadurch entsteht natürlich ein Vakuum. Ich hoffe, es wird eine neue Generation wachsen.
Text: Karin Cerny
Die freischaffende Journalistin schreibt
regelmäßig für „profil“ über Theater und für das „Rondo“ über Mode und
Reisen. Sie lebt in Wien (A).
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