Cover Editorial Fitness Witness by Oskar Ott
WELLNESS Magazin ©Paul Pibernig/OFF GRID – Independent Foto Festival Wien: Cover © Oskar Ott, Top Larissa Falk, Hose Alessandro Santi, Schuhe Crocs, Model Bastian Weinzierl

Von Fast Fashion zur Well Fashion

Der Begriff Wellness gehört bereits untrennbar zu unserem Zeitgeist. Aber welchen Stellenwert hat die Mode darin? Gemeinsam mit Lis Füreder gingen wir diesen vermeintlich widersprüchlichen Themen auf den Grund. Als Herausgeberin des Printmagazins WELLNESS analysiert die junge Grafikerin die Ästhetik von Wellness in Kunst, Popkultur, Mode und Gesellschaft und fragt nach, welche soziokulturellen, körperlichen und geschlechtlichen Prototypen sich hinter dem Wellness-Begriff verbergen.

Mit unserer Kleidung führen wir eine lebenslange, komplexe Beziehung. Immerhin kommt kein anderes Objekt unserem Körper so nah und das jeden Tag. Seit jeher zeigen wir mit Kleidung auf nonverbale Weise wer wir sind und wie es uns geht. Wie passen die Begriffe Mode und Wellness also zusammen?

Eines haben Mode und Wellness jedenfalls gemein: Viel Kapital. Laut den diesjährigen Erhebungen des Global Wellness Institute erwirtschaftete der Wellness-Sektor im Jahr 2020 weltweit eine Summe von 4,4 Billionen US-Dollar. Und das obwohl der Umsatz pandemiebedingt um 11% zurückging. Während der Rückgang den geschlossenen Spas, Massagestudios oder Wellnesshotels geschuldet ist, bekam der Onlinehandel während der Lockdowns einen neuen Stellenwert. Der Klick zum Warenkorb wurde zur Wellness für Daheim.


Gesunder Konsum?

„Wandern oder an die frische Luft gehen steigert das Wohlbefinden enorm, man würde aber nie Wellness dazu sagen. Denn Wellness trägt immer auch diesen Konsumgedanken in sich. Ein Smoothie, der dich von innen strahlen lässt oder ein Massagegerät für zu Hause treffen das schon eher“, sagt die in Wien lebende Grafikdesignerin und Texterin Lis Füreder dazu. Als Modejournalismus-Abschlussarbeit an der Akademie für Mode und Design in Berlin (AMD) schuf sie das Printmagazin WELLNESS, das sie kürzlich am Wiener Off Grid-Festival präsentierte.
„Ursprünglich sollte das Heftthema Heilung sein. Mir kam dann aber plötzlich immer wieder der Begriff Wellness unter, oft mit sehr differenzierten Schwerpunkten. Schlussendlich ist es ja auch ein Weg zur Heilung – im besten Fall natürlich“, sagt Füreder über die Themenfindung. „In den letzten Jahren gab es eine gesellschaftliche Reflexion, weil man viel zu Hause mit sich selbst war. Wellness wurde gerade erneut zum Zeitgeist-Begriff.“ Für die junge Grafikdesignerin ist dieser allerdings nicht nur positiv konnotiert, wie sie erzählt: „Wellness hat immer den Haken, dass sie nur bestimmten Menschen zusteht. Es hat immer etwas mit Einkommen und damit auch mit Herkunft zu tun. Man muss reflektierter an das Thema herangehen. Wellness nimmt sich ja oft etwas aus indigenen Traditionen heraus, setzt es dann hier um und schlägt mega viel Kapital heraus.“

Fitness Witness by Oskar Ott for Wellness Magazine 3

Fitness Witness © Oskar Ott, Model: Dora Denerak Galyas, Kleid AUNÉ, Tights Falke, Schuhe Moon Boot

Fitness Witness by Oskar Ott for Wellness Magazine 2

Body Clara Colette Miramon


Yogahosen als Klassensymbol

Als Sinnbild für diese kulturelle Ambivalenz benutzt Lis Füreder in ihrem Magazin die Yogahose. Ursprünglich ein rein männlicher Sport, verbindet man damit heutzutage hauptsächlich junge weiße Frauen aus der Bildungsschicht. Der weltweite Markt für Yoga-Studios, Bekleidung und Utensilien wird heute auf über 130 Milliarden US-Dollar geschätzt und wird bis 2025 voraussichtlich 215 Milliarden US-Dollar erreichen. Füreder interviewte dafür Personal Trainer Karimu Samuels, der als Brand Ambassador für das amerikanische Label Lululemon agiert. Sonst eher nicht für Nachhaltigkeit und Umweltschutz bekannt, zeigt sich das weltweit bekannte Yogawear-Label in Sachen Diversität sehr zeitgemäß, wie Füreder feststelle: „Dem Thema Yoga stand ich voreingenommen gegenüber. Daher war ich überrascht, dass man auf der Lululemon-Website Kleidung an den unterschiedlichsten Körperformen und Ethnien sieht. Und auch Karimu sprach über die Wichtigkeit, beim Yoga wirklich alle Körperformen zu inkludieren und auch zu zeigen.“ Und da müssen vor allem Studios und Marken mit gutem Vorbild vorausgehen, so Füreder.

In Gesprächen mit ihrem eigenen Umfeld sah sie das bestätigt, hörte oft Dinge wie „ich fühle mich zu dick fürs Yogastudio“ oder „man sieht nie Frauen mit Hijab beim Yoga“. In einem anderen Interview sprach Füreder mit Psychologin und Mediatorin Mariela Georg. Sie versucht mit ihrem Konzept Critical Wellness in Empowerment-Workshops das Wohlbefinden von People of Color ins Zentrum zu stellen. Wellness, so Georgs Resümee, müsse inklusiver gestaltet werden, damit der Begriff wirklich Wohlbefinden bedeutet und nicht Ausgrenzung, falsche Versprechen und Jugendwahn. „Man muss geschützte Räume schaffen, in denen man sich wirklich wohl und sicher fühlt. Nicht nur beim Yoga, sondern beim gesamten Wellnessangebot“, so Füreder ergänzend.

Maschinerie „Wellness“

Produkte, die dabei helfen, uns vermeintlich besser zu fühlen, gibt es en masse. Wirkliche Hilfe von Profis zu bekommen, ist dagegen schwerer denn je. Laut Global Wellness Report wuchs während der Pandemie der Sektor „Public health, prevention, & personalized medicine“ vergleichsweise „nur“ um +4.5%. Einen weit größeren Zuwachs sah man dagegen bei Produkten, die man alleine zu Hause nutzen kann. Meditations-Apps, Aromaöle und beruhigende Nahrungsergänzungsmittel beispielsweise, oder Gewichtsdecken, die gegen Stress und Angstzustände helfen sollen.

2019 prophezeite man am Global Wellness Summit „eine neue Ära von nachhaltiger, inklusiverer, sinnstiftender Mode.“ Die italienische Modedesignerin Alberta Ferretti erläuterte in ihrer Keynote-Rede, welchen Platz Wellness in der Modewelt findet. Auch die Modeindustrie, so die Designerin, müsse ihr Mindset ändern und ungesunde Strukturen aufbrechen, um besser für die Umwelt, den Planeten aber auch für die Menschen zu werden, die unsere Kleidung erzeugen. Und natürlich für jene, die die Kleidung dann schlussendlich tragen. Wellness kann also weit über die Grenzen des Dampfbades hinausgehen.

Fitness Witness by Oskar Ott for Wellness Magazine

Fitness Witness © Oskar Ott, Top Christina Seewald

Fitness Witness by Oskar Ott

Top Stylist's Own, Hose Alessandro Santi


Smarte Stoffe

Haben Yoga-Hose, Sneakers und Sweatshirts schon längst ihren Weg in unsere Alltagsgarderobe gefunden, geht zukünftige Active Wear bereits ein paar Schritte weiter. Kleidung soll bald nicht nur mit dem Internet vernetzt sein, sondern aktiv für körperliches Wohlbefinden sorgen.
Ministry of Supply, ein Projekt von Ingenieur*innen des renommierten MIT, will Kleidung beispielsweise mithilfe von Technologie intelligenter machen. Ihre drahtlos aufladbare Jacke passt die Temperatur automatisch an Wetter, Körpertemperatur und Bewegung an. Die Bekleidungsmarke Fifty One Apparel verwendet Techwear-Stoffe, um Frauen in den Wechseljahren dabei zu helfen, Hitzewallungen zu bewältigen. Ermöglicht wird das durch die von der US-Weltraumbehörde NASA entwickelten Space Technologie Outlast.
Für intensive Sportarten hat Aexos Kleidungsstücke aus Materialien entwickelt, die den Körper schützen. Der hohe Kragen des Halo-Shirts ist zum Beispiel weich und flexibel, versteift sich aber bei einem Aufprall und schützt damit Hals und Nacken. Die Sportswear-Brand Buki wiederum lancierte eine Loungewear-Kollektion aus Stoffen, in die natürliches Kollagen eingebettet wurde. Während dem Tragen setzen diese eine feuchtigkeitsspendende Wirkung frei, die die Haut nähren soll. 



wellness across six dimensions

© McKinsey & Company

Mode und Zugehörigkeit

Dennoch denkt man beim Wort Wellness eher an flauschige Bademäntel, Pantoffeln und gemütliche Pyjamas. Dabei kann unter Umständen auch High Fashion Wellness sein, wie Lis Füreder bestätigt: „Enge Jeans oder Heels können durchaus etwas mit Wohlbefinden zu tun haben, weil man sich in seinem Look wohlfühlt. Zuhause trage ich Jogger und Tanktop, genauso wie weite Anzughosen und hohe Schuhe. Ich trenne nicht so stark zwischen Wohlfühlkleidung und Arbeitskleidung. Ein Outfit, in dem man sich schön fühlt, wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Das sind in meinem Fall nicht nur Heels und enge Jeans." Dass Mode und Wellness kein Widerspruch in sich sein muss, zeigen vor allem die Dresscodes der Gen-Z: Komfort und Individualität stehen mittlerweile weit über dem Prinzip „Wer schön sein will, muss leiden“. „Mode steht auch für Gruppenzugehörigkeit. Gehst du im Bademantel auf die Straße, fühlst du dich wahrscheinlich unwohl, weil du plötzlich ein Außenseiter bist“, kommentiert Füreder.

Wie weit Kleidung uns physisch aber auch psychisch beeinflusst, zeigte sich vor allem im neuen Homeoffice-Alltag. So war das Arbeiten in Jogginghosen und Hoody zwar bequem, motivierter fühlten sich aber viele von uns in regulärer Arbeitskleidung bzw. in Jeans. „Es klingt absurd, aber ich habe Studien gelesen, dass Menschen in Badekleidung statistisch gesehen schlechter in Mathematik waren, als mit Alltagskleidung. Oder wie sehr sich ein weißer Ärztekittel auf die Glaubwürdigkeit auswirken kann. Die psychologische Kraft von Mode ist mächtig“, bestätigt Füreder.
Egal ob Hightech-Jacke, teures Designerteil oder uralter Lieblingspulli – Kleidung gehört zu unserer persönlichen Wellness und das jeden Tag. Und im besten Fall ist sie sogar beides: Ausdruck der Persönlichkeit und bequem.


Bestellung:
Magazin WELLNESS
Kontakt: Lis Füreder

Fashion Editorial „Fitness Witness“, Fotos: Oskar Ott
Creative Direction & Styling: Lis Füreder
Hair & Make-Up: Jenny Bladek
Fotoassistenz: Roozbeh Gholami
Stylingassistenz: Jisoo Shin
Models: Dora Denerak Galyas und Bastian Weinzierl

Text: Jenni Koutni (8. November 2022)

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