Runway images 2024 in Vienna
v.l.n.r.: Gerald Brandstaetter © Juergen Hammerschmid /F&T; Marie San Martin © Max Gruber & Marlene Nemeth / KMD Herbststrasse; Viola Kollar © Mario Ilic / Show Angewandte

Was sagt der österreichische Modenachwuchs? Versuch einer Trendanalyse.

Der Mode-Nachwuchs an den heimischen Ausbildungsstätten glänzt mit starken Ansagen. Das zeigten die Studierenden vor den Sommerferien in ihren Abschluss-Shows. Ein Versuch, übergreifende Themen aus den Universen an Outputs herauszukristallisieren. Das Anschauungsmaterial lieferten die Shows der Modeklasse der Universität für angewandte Kunst Wien, der Abteilung Fashion & Technology (F&T) an der Kunstuni Linz sowie des Kollegs ModeDesignTextil Herbststraße Wien.

Angewandte, F&T und Herbststraße – drei Ausbildungs-Universen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sind das. Und doch ziehen sich durch die Vielfalt individueller Ansätze auch gemeinsame Themenstränge. Post-Corona-Zeitgeist und Krisenmodus zeigen sich als unübersehbare Einflüsse. Konsum- und Gesellschaftskritisches wird oft sehr direkt angesprochen. Es geht auf keinen Fall mehr darum, vermeintliche körperliche Vorzüge einer Person zu betonen und als unvorteilhaft verstandene Körperzonen zu verstecken. Vielmehr werden eben diese Sichtweisen in Frage gestellt und alternative Konzepte vorgeschlagen.


1.   Gender & heteronormative Geschlechterordnung

Wie mit historisch gewachsenen Rollenbildern umgehen? Wie mit der immer noch vorherrschenden Benachteiligung von Frauen? Dazu gab es in den Shows zahlreiche Überlegungen.


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Martyna Bierut © Mario Ilic

Martyna Bierut, Modeklasse: „I gave up counting“. Die Diplomkollektion thematisiert die an heteronormative Geschlechterordnungen geknüpfte Arbeitsteilung und setzt mit gehäkelten Looks in organischen Formen ein Zeichen für eine feministische Zukunft.


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Lena Haslinger © Jürgen Hammerschmid

Lena Haslinger, F&T: „body_witch_craft”. Widerspenstige Körper sind für Haslinger das Sandkorn im gesellschaftlichen Getriebe der Normen. Craft-Techniken wie Stricken, Häkeln und Weben, also eher traditionell weiblich konnotierte Arbeiten treffen auf digital generierte Objekte.


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Alissa Herbig © Mario Ilic

Alissa Herbig, Modeklasse: „Unpicking Memories“ verhandelt tradierte Gender-Narrative rund um österreichische Trachten. Getragen von ihrem queer-feministischen Verständnis von Modedesign feiert Herbigs Diplomkollektion traditionelle Handwerkskunst als Symbol für weibliche Care-Arbeit und emanzipative Praktiken.



2.   Normierung vs. individuelle Identität

Zahlreiche Arbeiten drehen sich um den gesellschaftlichen Druck, sein Aussehen anzupassen. Die Erwartungshaltung richtet sich dabei nicht mehr so stark an das Outfit als Hülle, sondern an den Körper an sich.

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Sookie-Celeste Simair © Jürgen Hammerschmid

Sookie-Celeste Simair, F&T: „Trans Voices”. Interviews mit Stimmen von Trans- und nicht-binären Menschen sind Basis und Katalysator der Arbeit. Sie besteht aus Sound und 3D-Animationen, die wiederum Input für die Outfits, z.B. in Form von Cyanotypien und Jacquardgewebe liefern.


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Marie San Martin © Katharina Schiffl / Fashion meets Opera, Wiener Staatsoper

Marie San Martin, Kolleg Herbststrasse: „Mythos Normalität”. Ihre Gedanken formuliert San Martin so: „Stelle dir eine Welt vor, in der Authentizität und Selbstdarstellung geschätzt werden. Eine Gesellschaft, die Menschen, die sich nicht in steifen Normen wiederfinden, akzeptiert, inkludiert und ernst nimmt.”


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Sophia Verbeek © Max Gruber & Marlene Nemeth

Sophia Verbeek, Kolleg Herbststrasse: „EMBODY(ied)” befasst sich mit körperdysmorphen Störungen und dem davon verursachten Leidensdruck bei den Betroffenen. Verbeek kritisiert den gesellschaftlichen Druck, ständig an seinem Körper arbeiten zu müssen, um in ein konstruiertes, unerreichbares Ideal zu passen, anstatt die Schönheit in der eigenen Individualität zu sehen.



3.   Umgang mit Ressourcen & alternative Stoffe

 

Die weltweite Textilfaser-Produktion hat sich in den Jahren 2000 bis 2020 fast verdoppelt und wird weiter steigen (Quelle: EU Parlament). An spannenden Alternativen mangelt es – wie die Mode-Absolvent_innen beweisen – eigentlich nicht.

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Gerald Brandstätter © Jürgen Hammerschmid

Gerald Brandstätter, F&T: „WHY ARE WE SO RUDE?”. Die Kokons ähnlichen Kleidungsstücke werden in einer dreidimensionalen Technik in einem Stück gefertigt. Brandstätter setzt Ausrangiertes, Schnittabfälle und Reste als wertvolle Rohstoffe ein. In verschiedenen Stadien der „Auflösung“ werden sie zerschnitten, aufgetrennt oder zerfasert. Klebetechniken mit den natürlichen Bindemitteln Alginat und Methylcellulose ermöglichen anschließend die Transformation zu neuen textilen Flächen.


Pekarz Hannah

Hannah Pekarz © Jürgen Hammerschmid

Hannah Pekarz, F&T: „cooling algae”. Um nicht Teil eines industriellen Produktions-Systems werden zu müssen, kreiert Pekarz ihr eigenes nachhaltiges Biomaterial aus Natriumalginat, einem Pulver aus getrockneten Algen mit einem kühlenden Effekt beim Tragen. In ihren Looks kombiniert sie die kühlenden Alginat-Garne mit Strick aus Bambusviskose.


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Julia Hörner © Max Gruber & Marlene Nemeth

Julia Hörner, Kolleg Herbststrasse: „Transient”. Die Kollektion fragt nach der Vergänglichkeit von Mode und ihren Materialien. Hörner setzt dabei ausschließlich natürliche Stoffe, wie Ramie aus Brennesselfasern, Leinen und ein aus einem Pilz selbst gezüchtetes Scoby-Leder ein.



4.   Remixing & Recycling

 

Etwas Neues schaffen gehört zum Job im Modedesign. Das kann auch heißen, neue Sichtweisen auf etwas Vorhandenes zu finden oder eine neue Art, Dinge zu mischen. Ein Ansatz, der sich auf ganz unterschiedlichen Wegen durch die Abschlussarbeiten zieht.

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Oliver Kuzma © Mario Ilic

Oliver Kuzma, Modeklasse: „SPLEEN”. Für die nach einem Gedicht von Baudelaire benannte Diplomkollektion recherchierte Kuzma akribisch historische, britische Männermode und ordnete deren Versatzstücke neu. Damit verfolgt er einen sehr luxuriösen Zugang mit vielen Details in Schnittkonstruktion, Verarbeitung und Passform, die beim Tragen Freude machen. Kuzma erhielt dafür den RONDO Modepreis 2024 powered by Polestar mit freundlicher Unterstützung der Wirtschaftsagentur Wien.


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Viola Kollar © Mario Ilic

Viola Kollár, Modeklasse: „Today“. Den Looks und Accessoires liegen eine tiefgehende Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Stil zugrunde, den die Designerin im Laufe der Jahre auf zahlreichen Streifzügen durch Flohmärkte und Vintage-Shops verfeinerte.


Johannes Banner

Johannes Banner © Max Gruber & Marlene Nemeth

Johannes Banner, Kolleg Herbststrasse: „ÄsthEthik”. Banner will den Stoffen ihren Wert zurückgeben. „Kleidung ist selbstverständlich, billig und in Massen verfügbar. Dadurch landen Unmengen davon in der Altkleidersammlung und im Müll. Doch ich finde, hier endet das Leben eines Kleidungsstückes noch nicht. Durch Upcycling, Patchwork und zero waste Ansätze, verarbeite ich die Alten Stoffe zu neuem Gewand.”



5.   Fühlen & Berühren

 

Fast schon vergessen ist die Zeit der Corona-Pandemie, in der physische Kontakte nur in sehr reduzierter Form möglich waren. So manche Kollektion verleiht Gefühlen, aber auch Ängsten Ausdruck.

Menschhorn Max

Max Menschhorn © Jürgen Hammerschmid

Max Menschhorn, F&T: „Deceiving Happiness”. Menschhorn erforscht soziale Schutzmechanismen und übersetzt sie in den physischen Raum. Flauschiger Teddyplüsch, weiche Strick- und Frottierstoffe in verspielten, organischen Formen umhüllen den Körper und wiegen das Gegenüber in eine trügerische Sicherheit. Ineinanderfließende Elemente erweitern den Körper und schaffen surreale Proportionen. Ausgestopft und gepolstert laden sie zum Knuddeln ein und halten gleichzeitig auf Abstand.


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Yuliya Hlazun © Mario Ilic

Yuliya Hlazun, Modeklasse: „Here just to scream“. Mit überdimensionierten Pailletten und fließenden, drapierten Silhouetten wird hier ein existenzieller, kreativer Zustand zelebriert, der zwischen Verzweiflung und Lebensfreude oszilliert.


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Verena Draxler © Max Gruber & Marlene Nemeth

Verena Draxler, Kolleg Herbststrasse „Kneten, Quetschen, Formen”. Einen haptischen Zugang, der sich aus der Lust an formbaren Materialien wie Knetmasse, Ton und Stressbällen nährt, überträgt Draxler in Silhouetten und schafft damit Stücke zum Spielen und Berühren.



Text: Michaela Amort (19. Juli 2024)

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