clothes rail with second-hand clothes
Photo © Anne Nygård / Unsplash

Wenn Mode sich im Kreis dreht: Österreichs Pläne für eine zirkuläre Textilindustrie

Die Modewelt steht am Beginn eines nachhaltigen Wandels: Das 3R Prinzip „refuse, reuse, recycle“ soll bald gelebter Alltag werden. Aber was muss passieren, damit sich die Kreisläufe endlich schließen? Ein Blick auf Österreichs Zukunftsstrategie.

Klimakrise, Ressourcenknappheit, Zerstörung von Ökosystemen und der Verlust von Biodiversität: das 21. Jahrhundert stellt die Menschheit vor viele Herausforderungen. Dass die Modeindustrie an all diesen Themen nicht unschuldig ist, ist kein Geheimnis. Immerhin wird laut aktuellem Greenpeace-Report pro Sekunde eine Lastwagenladung Kleidung verbrannt oder auf riesigen Mülldeponien abgeladen. Weltweit wird weniger als 1% aussortierter Kleidung überhaupt recycelt. Im Zuge von umfassenden Klimaschutzprojekten wie dem Pariser Klimaabkommen oder dem 2019 beschlossenen Green Deal der Europäischen Union spielt der Textilsektor daher eine wichtige Rolle. Ein Wort fällt dabei immer wieder: Kreislaufwirtschaft.

Was Kreislaufwirtschaft bringt

Warum Kreislaufwirtschaft als einziges Zukunftsszenario das Potenzial hat, das Fortschreiten der Klimakrise zu stoppen? Der Grund liegt ausgerechnet in unserer eigenen Komfortzone. Denn obwohl laut Umfragen die meisten theoretisch dazu bereit sind, ein klimaschonenderes Leben zu führen, sieht es in der Praxis leider anders aus. Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen „value-action gap“. Wir wissen beispielsweise, wie schlecht Fast Fashion ist, kaufen sie aber trotzdem.

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist nun aber dazu fähig, die Bedürfnisse unserer Gesellschaft auch zukünftig zu befriedigen. Denn sie könnte dazu führen, dass Kleidung erst gar nicht in ausbeuterischer Weise produziert wird. Rohstoffe werden umweltverträglich gewonnen, Produkte ressourcenschonend hergestellt. Gleichzeitig wird die Lebensdauer der Erzeugnisse verlängert und deren Nutzung intensiviert, um Abfallaufkommen und Umweltbelastungen zu minimieren. Besitzen wir ein Kleidungsstück umso länger, sind wir vermutlich auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Erst wenn Produkte wirklich nicht mehr anderweitig Verwendung finden, werden sie dem Abfallstrom zugeführt, als Sekundärrohstoffe genutzt und wieder in den Kreislauf eingebracht. Das würde die Anzahl der Abfälle minimieren, die verbrannt oder deponiert werden müssen.

Die Modewelt als Chancengeber

Ob Green Deal oder Klimaabkommen - der Textilsektor stellt in jedem dieser Modelle einen zentralen Bestandteil dar. Da die textile Wertschöpfungskette im Moment so komplex und undurchsichtig ist, wird aktuell eine umfassende europäische Textilstrategie ausgearbeitet. Sie soll dazu beitragen, Textilprodukte und -Dienstleistungen schadstofffrei, langlebiger, reparier- und recyclingfähig – also kreislauffähig – zu gestalten.

Aber was muss nun eigentlich geschehen, um eine Kreislaufwirtschaft im Textilsektor in Österreich zu etablieren? „Es muss an vielen Schrauben gleichzeitig gedreht werden“ bringt es Barbara Stoifl auf den Punkt. Als Fachexpertin für Abfallmanagement und Textilien im österreichischen Umweltbundesamt sieht sie die enormen Auswirkungen, die unsere Wegwerfgesellschaft auf die Umwelt hat besonders deutlich. „Tatsächlich sind die Grundsteine für einen Wandel schon gelegt“ merkt sie an. „Immer mehr Konsument*innen als auch Hersteller*innen achten bei Textilien auf Qualität, den Einsatz nachhaltiger Materialien. Werden Textilien kreislauffähiger, ermöglicht das bessere Vernetzung in der Branche“.

Recycling von Alttextilien

Laut Greenpeace Österreich wird ein Großteil der jährlich rund 222.000 Tonnen heimischer Textilabfälle einfach verbrannt, lediglich sieben Prozent kommen zum Recycling. Zehn Prozent davon nutzt der Secondhandbedarf. Hinter Ergebnissen wie diesen stecken gleich mehrere Probleme, so Barbara Stoifl: „Textilien, die im Restmüll landen, sind für den Kreislauf verloren. Dazu kommt noch folgendes: während das Aufkommen an Alttextilien ständig steigt, sinkt die Qualität der Stoffe immer weiter.“

Viele Kleidungsstücke bestehen mittlerweile aus Mischfasern und können gar nicht recycelt werden. Einen Jeansstoff aus Baumwolle und Acryl wieder zu trennen? Derzeit ist das technisch unmöglich. Der Mangel an Technologien zum automatisierten Sortieren der Altkleider und zum Trennen von Mischfasern sowie die fehlende Wirtschaftlichkeit der Recyclingprozesse sind enorme Herausforderungen für die sinnvolle Verwertung.

„Dem kann mit der Stärkung der Märkte für Recyclingfasern begegnet werden. Dafür braucht es Zusammenarbeit der relevanten Stakeholder*innen, vor allem im Design, in der Produktion und in der Abfallwirtschaft“, so Stoifl.

Bis 2025 sollen laut EU-Vorgaben alle Textilabfälle gleich getrennt gesammelt werden. Darauf arbeitet man auch in Österreich gerade hin. Derzeit wird die Sammlung von Alttextilien, die Sortierung und die Vorbereitung zur Wiederverwendung zu einem großen Teil von karitativen Organisationen übernommen.

„Der österreichische Alttextilienmarkt ist stark von ausländischen Märkten abhängig. Rund die Hälfte des Aufkommens wird für Sortierung und Aufbereitung exportiert. Entweder direkt nach der Sammlung oder nachdem die sogenannte Cremeware entnommen wurde“, erklärt Stoifl und meint mit Cremeware jene makellosen Kleidungsstücke, die diese Organisationen weiterverkaufen können. Gesammelte Alttextilien werden auch aus Kostengründen in Sortierwerken im Ausland zur Aufbereitung und Wiederverwendung getrennt, da das Sortieren überwiegend händisch erfolgt und nicht maschinell durchgeführt werden kann.

Österreichs Zukunftsstrategie

In Österreich nimmt das Interesse am Thema Kreislaufwirtschaft rasant zu. Bei der zweiten Ausgabe des Circular Economy Summit Austria war dem Thema textile Kreislaufwirtschaft ein eigener Panel Talk gewidmet. Unter der Moderation von Reinhard Backhausen, Circular Textile Consultant stellten Matthias Neitsch, GF RepaNet und Präsident RREUSE, Jasmin Huber, Gründerin & CEO WeDress Collective und Günter Grabher, Gründer & CEO Grabher Group ihre Aktivitäten vor. Darüber hinaus präsentierten sich rund 40 heimische Unternehmen und Organisationen auf der Kreislauf-Messe vor Ort in der Aula der Wissenschaften in Wien.

Veranstalter des Summits war das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gemeinsam mit dem Kreislaufwirtschafts-Beauftragten Harald Friedl und organisatorisch unterstützt von der jungen Innovationsagentur Circular Cocreation. Plattformen wie das Circular Economy Forum Austria oder Circular Futures waren unter den Veranstaltungspartnern. Die Organisationen setzen auf Aufklärung, Weiterbildung und Vernetzung rund um das Thema Kreislaufwirtschaft in Österreich.
Im Vorfeld dazu wurden im Zeitraum Mai-Juni 2021 neun Workshops zur Erarbeitung von unterschiedlichen Maßnahmenvorschlägen abgehalten. Dabei haben rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über 600 konkrete Maßnahmenvorschläge erarbeitet.

Darüber hinaus fand im Rahmen des New European Bauhaus Festivals Anfang Juni das Kreislaufkulturfest im Wiener Museumsquartier statt. Als „Fest für Groß und Klein“ sollte die Veranstaltung Menschen aller Altersgruppen das Thema auf spielerische Weise näher bringen.


Entwurf Kreislaufwirtschaftsstrategie

Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie

Dokumentation Umweltbundesamt

Umweltbundesamt

circular economy magazin

Circular Insider Austria No.1, S. 80-81 / Die erste österreichische Ausgabe des Circular Insider Magazins, März 2022 ©Circular Economy Forum Austria & Circular Change, Slovenien


Die R‘s der Nachhaltigkeit


Rethink, Refuse, Reduce, Recover, Refurbish, Repurpose, Repair, Reuse, Recycle, Remanufacture – diese Begriffe gelten als das 1x1 von nachhaltigem Modekonsum. Denn: „Der größte Hebel für die effiziente Nutzung von Ressourcen und die Abfallvermeidung ist nachhaltiger und achtsamer Konsum“, sagt Barbara Stoifl ausdrücklich. Denn das umweltschonendste Kleidungsstück ist jenes, dass erst gar nicht in den Kreislauf gelangt. Sprich: regelmäßig getragen oder erst gar nicht gekauft wird. Beim Kauf empfiehlt es sich auf Qualität, zeitloses Design und biologisch-abbaubare Materialien zu achten. Umweltzertifizierungen wie das Österreichische Umweltzeichen oder das EU-Ecolabel sollen deshalb noch weiter gestärkt werden um Vertrauen zu schaffen. Sinnvoll ist es auch, zu Produkten zu greifen, die bereits vorhanden sind. Sprich: Kleidung aus Secondhand-Shops. Auch Onlineplattformen zum Ausleihen von Kleidung scheinen gerade wieder im Kommen zu sein. Wenn Kleidung wirklich nicht mehr funktionsfähig ist, sollte sie dennoch im Altkleidercontainer statt im Restmüll landen. Somit ist sicher, dass ausgemusterte Textilien in Sortierwerken getrennt und wieder eingesetzt werden.


Circular Economy Pooting

The 9R Framework Quelle: Kirchherr et al. (2017), S.224, adapted from Potting et al. (2017), S. 5


Know How als Must Have


Damit eine zirkuläre Textilwirtschaft in Zukunft funktionieren kann, muss also auf allen Ebenen zusammengearbeitet werden - von Rohstofflieferanten, Design, Herstellung, Handel und Wiederverwertung. Nicht zu unterschätzen ist außerdem auch das nötige Wissen um diese Themen. Denn wer nicht aufgeklärt ist, kann nun mal nicht handeln. Zukünftig wird also vermehrt auf Informations- und Bewusstseinsbildungsmaßnahmen gesetzt, um einen Wertewandel für nachhaltige  Mode und achtsames Einkaufverhalten herbeizuführen. Auch auf Regierungsebene soll in vielen Ländern stärkeres Engagement gegen Greenwashing gezeigt und Weiterbildungen in allen Bereichen der Wertschöpfungskette gefördert werden. Denn große Veränderungen entstehen schließlich zuallererst in unseren Köpfen.

Text: Jenni Koutni (12. Juni 2022)

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