Remade Design: Apokalyptische Ästhetik
Anita Steinwidder und Matthias Winkler geben alten Materialien eine zweite Chance.
Gerissener, gebrauchter Jersey. Alte, gestopfte Socken. Applikationen, denen man nicht vordergründig schmückende Wirkung zuschreiben würde. Viele Elemente der Kollektion „Trespass" repräsentieren nicht eben den Glamour, in dem Designermode sonst erstrahlt. Darauf haben Modemacherin Anita Steinwidder und der bildende Künstler Matthias Winkler ihr Joint Venture aber ohnehin nicht angelegt. Vielmehr gehen sie mit „Trespass" auf die akribische Suche nach rauen, gerippten Texturen, Flicken, ausgedünntem
Gewebe und anderen Gebrauchsspuren. Nur aus Alttextilien erzeugen sie eine prekäre, apokalyptische Ästhetik im Grenzbereich zwischen Mode und Kunst.
Dass ihnen ähnliche Dinge gefallen, beobachten Matthias Winkler und Anita Steinwidder schon seit einigen Jahren. Die Parallelen zwischen ihren Arbeitsweisen wurden mit der Zeit immer augenscheinlicher: Während Anita Flohmarktkisten durchstöberte, um die Strumpfwaren für ihre „Remade Design"-Stücke zu beschaffen, räumte Matthias für seine gestopften und lebendig anmutenden Stoffskulpturen den Keller einer Textilfabrikantengattin aus. Wie Anita formt er aus alten Kleidungsstücken etwas Neues: „Mich interessiert dieser Kontrast zwischen Schönem und Abstoßendem. Diese Dinge liegen manchmal sehr nah beieinander." Die Historizität des Materials steht im Mittelpunkt des Projekts „Trespass". Dunkles, düsteres, aber starkes Material, das beim Betrachten nicht selten die Assoziation eines lang vergangenen Kriegswinters weckt. C&A-Pullis aus den 80ern würden die beiden nämlich gar nicht verarbeiten wollen. „Anita und ich arbeiten bewusst mit Textilien, die zum Teil 100 Jahre alt sind. So wie die Trümmerfrauen, die Mäntel aus schweren Armeedecken genäht haben."
Der Ekel vor dem Gebrauchten ist auch eine der Reaktionen, die Steinwidders Schaffen seit jeher begleitet. „Ich möchte etwas mitnehmen, von dem, was die Dinge einmal waren", erklärt sie, „deshalb verfremde ich mein Material nicht komplett. Manchmal hat es aber auch etwas Ungutes, mit gebrauchten Socken zu arbeiten." Die 36-jährige Grazerin macht unter dem Label „Steinwidder" schon seit über 7 Jahren Mode aus Socken- und Strumpfwaren-Überschuss, auch weil alte Socken eine flexible, dehnbare Ressource sind. „Die
Materialbeschaffung ist eine große Herausforderung und kostet vor allem Zeit. Die Ideen und das Aufbauen der Stücke kommen erst danach." Jedes der Steinwidder-Teile ist einer Projektidee verpflichtet und wird dreidimensional aufgebaut. Dabei entstehen Farbverläufe und -brüche. Mit Schnitten wird nicht gearbeitet. Denn Anita ist eine Autodidaktin. Und die Idee „Recycling-Mode" herzustellen, eine grundsätzliche Entscheidung.
Den Begriff „Recycling" verwendet die ausgebildete Architektin allerdings eher ungern: „Ich spreche lieber von Remade Design." Schließlich inszeniert Steinwidder Verworfenes, aber buchstäblich ungeglättet und ohne Schönfärberei. Im eigenen Shop „Glanz und Gloria" werden die teils sehr aufwändigen und limitierten Stücke dann verkauft - Pullis um knapp 500 € , bei dem hohen Arbeitsaufwand und der Kleinteiligkeit eine kalkulatorische Notwendigkeit. Aber hat Steinwidder in der Modeszene ein ähnliches Image wie die erfolgreichen LKW-Planen-Vernäher? „Steinwidder wird mittlerweile auch seriös wahrgenommen, da hat sich einiges verbessert." Das war nicht immer so. „Ich brauchte Zeit, eine eigene Sprache zu entwickeln. Dabei konnte ich das Manko, keine Mode-Ausbildung zu haben, zu einem Vorteil machen." Gemeinsam mit Matthias macht Steinwidder nun einen Schritt in Richtung Kunst.
So wurden die Trespass-Arbeiten Anfang Dezember im Ottakringer Ragnarhof nicht auf einem Catwalk, sondern in eigens gestalteten Szenerien präsentiert - als Steinwidder-only Event. „Wir haben Rahmen, Podeste, und Stühle aus Karton gebaut, in einer Art Favela-Stil. Die Präsentation hat eher wie eine Ausstellung gewirkt", erzählt Matthias, „damit haben wir haben uns auch auf unsere Art des Wieder-Verwertens bezogen". Das Abstoßende am Schönen, an der Oberfläche, aber mit einer Geschichte.
www.steinwidder.com
www.matthiaswinkler.org
Text: Josef Jöchl
(Archiv 2010)