Royal Academy of Fine Arts Antwerp
Abschlusskollektion: Annemarie Saric; WWWSHOWWW; Royal Academy of Fine Arts Antwerp; © SHOOT THE ARTIST

WWWSHOWWW: Die digitale Show der Royal Academy of Fine Arts Antwerp

Auch die Modestudent*innen der Royal Academy of Fine Arts Antwerp mussten in der Zeit der Isolation zu Hause arbeiten. Durch die limitierten Möglichkeiten mussten sie außerdem sehr kreativ sein, um trotzdem großartige Kollektionen zu realisieren. Die österreichische Designerin Florentina Leitner nutzte die Krise sogar als Inspiration. Sie beschäftigte sich mit der psychischen Befindlichkeit, die aus Unsicherheit entsteht und assoziierte diese mit dem Film Vertigo.

Die Abschluss-Show einfach absagen wäre keine Option gewesen. Deshalb wurde das digitale Format WWWSHOWWW entwickelt und am 27. Juni um 20.00 Uhr live gestreamt. Für die 122 Bachelor Student*innen und 9 Master Student*innen bedeutete das ein globales Publikum - und eine perfekte Vorbereitung auf die Herausforderung, ihre Ideen im digitalen Raum transdisziplinär weiterzudenken und weiterzuentwickeln. Ergänzt wurden die Präsentationen durch sogenannte Blind Date Calls in denen die Masterstudent*innen von einflussreichen Persönlichkeiten aus der Modewelt angerufen wurden und Fragen zu ihren Abschlusskollektionen beantworteten. Dabei gaben sie sich motiviert und optimistisch.

Mit der virtuellen Show bewies die Royal Academy of Fine Arts, dass es auch in schwierigen Zeiten möglich ist, kreatives Potenzial auszuloten und zu fördern. Die Modeabteilung der Royal Academy of Fine Arts Antwerp wird von Walter van Beirendonck geleitet. Expertise und Unterstützung für die WWWSHOWWW kam von zwei Alumni: dem Fotografen und Regisseur Willy Vanderperre und dem Stylisten und Berater Olivier Rizzo.


“Our focal point was the celebration of creativity and young talent. The models themselves are also very connected to the arts in their personal life, so their honest reaction to the clothing and overall concept was overwhelmingly positive and sparked their imagination for us to capture.” Olivier Rizzo


Die digitale Präsentation bot ein 360-Grad-Erlebnis und entstand in einer Kollaboration zwischen dem Antwerp Fashion Department und der Kreativ-Agentur Random Studio. Bis zum Schluss durchhalten, zahlte sich aus: Im Finale wurden die Masterkollektionen im virtuellen Setting des historischen Handelsbeurs in Antwerpen gezeigt. Die einzigartige Architektur des Handelsbeurs verschmolz mit den Kollektionen zu einem virtuellen Gesamtkunstwerk. Möglich wurde dies durch Fotograf und Regisseur Björn Tagemose und durch die visuelle Produktion von Shoot the Artist.

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WWWSHOWWW; Royal Academy of Fine Arts Antwerp © SHOOT THE ARTIST

Die Show kann hier ein Jahr lang nachgeschaut werden.

Unter den präsentierenden Student*innen waren auch Österreicherinnen. Zum Masterabschluß gratulieren wir vor allem Florentina Leitner und Annemarie Saric sowie Sabrina Pfattner aus Südtirol. Wir erreichten die drei mitten in den Show-Vorbereitungen und sprachen mit ihnen über ihren Designbegriff und ihre Perspektive auf die Modeindustrie:


Sabrina Pfattner


„Einer abstrakten Idee eine Form geben!“ 
Sabrina Pfattner


Sabrina Pfattner  inspirierte sich in ihrer Abschlusskollektion BOWS & POWS an starken Frauen. Wichtiges Stilmittel sind kontrastierende Materialien, Layering und Stilbruch, letzterer äußert sich in rosafarbenem und schwarzem Lack, transparenter Seide, Häkelarbeiten und Patchwork.

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MA Blind Date: Sabrina Pfattner und Roisin Murphy

Wie kann sich Mode in dieser Krise neu erfinden?

In solchen Momenten ist es für Mode geradezu eine Notwendigkeit, sich neu zu erfinden. Mode ist immer ein Ausdruck ihrer Zeit und die Modeindustrie kann sich vom Zeitgeschehen nicht abgrenzen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, das Modesystem zu innovieren. Auch wenn Live-Shows bis zuletzt unverzichtbar schienen, ist jetzt der Moment gekommen, neue Möglichkeiten zu finden und auszuprobieren.


Wie denkst du über Modedesign?

Spannend an Modedesign finde ich die Gratwanderung zwischen Tragbarkeit und Wow-Effekt. Gutes Design soll neu wirken, aber trotzdem tragbar sein. Auch show pieces sind notwendig, sie beflügeln die Fantasie des Konsumenten. Aber grundsätzlich sind es tragbare Dinge, welche die Identität eines Labels definieren und im täglichen Leben wiedergeben.

Sabrina-Pfattner

©Sabrina Pfattner

Welchen Einfluss haben digitale Medien auf deine Arbeit?

Ohne Präsenz in den sozialen Medien wird man heute als Kreative*r nicht mehr wahrgenommen. Instagram ist unsere Visitenkarte, die sich wahrscheinlich mehr Leute anschauen als wir denken. Auch die Shows würden ohne digitale Medien kaum wahrgenommen werden. Zu den Live-Shows ist nur ein kleiner Kreis geladen. Die überwiegende Mehrheit sieht die Show im Stream. Mode ohne digitale Medien ist undenkbar.


Wie handhabst du das Thema Nachhaltigkeit?

Man kann sich auf viele verschiedene Weisen nachhaltig verhalten. Ich selbst habe dieses Jahr zum Beispiel mit Tischdecken und Vorhängen gearbeitet, die ich meist in Second-Hand Läden gekauft habe. Ich finde es spannend, vertraute Dinge in einen neuen Kontext zu setzen und dadurch zu verändern, wie diese wahrgenommen werden.

Wer war oder ist für dich immer wieder Inspirationsquelle?

Dieses Jahr habe ich mich stark mit Lisa Lyon beschäftigt, einer Bodybuilderin, die Robert Mapplethorpe in den 1980ern in großartigen Fotos festgehalten hat. Starke Frauen finde ich immer inspirierend, egal aus welchem Bereich sie kommen. Aber es gibt auch die Inspiration, die mir unversehens im Alltag begegnet -  wie die Farbe eines Mantels auf der Straße, das Design einer Verpackung, ein Satz oder auch nur ein Wort, das ich irgendwo aufschnappe. Ich glaube, am Ende ist es die Summe all dieser Dinge.

Warum bist du nach Antwerpen gegangen?

Ich habe mich aus reiner Neugier für die Aufnahmeprüfung  angemeldet und wurde dann tatsächlich aufgenommen. Zwei Monate später bin ich nach Antwerpen gezogen. Das war also weder spontane Entscheidung noch geplant oder durchdacht. 

Sabrina-pfattner

BOWS & POWS; WWWSHOWWW; Royal Academy of Fine Arts Antwerp


Florentina Leitner


„Die Inspiration mit 3D-Welten zum Leben erwecken.“ Florentina Leitner


Florentina Leitner gab ihrer Abschlusspräsentation den Titel MIDNIGHT VERTIGO. Mit VERTIGO spielte sie auf den Filmklassiker aus den 1950er Jahren an. Die psychische Befindlichkeit des Protagonisten löste in ihr Assoziationen  zur Unsicherheit der vergangenen Monate aus. Als Stilmittel nutzte sie Referenzen auf die 1950er-Jahre, optische Täuschung, konzentrische Kreise und Spiralen. Um die Inspiration zum Leben zu erwecken, schuf sie gemeinsam mit dem 3D-Künstler Geoffrey Lillemon für jeden Look eine Art 3D-Welt.

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MA Blind Date: Florentina Leitner und Stephen Jones

Wie hast du in der Zeit des Social Distancing gearbeitet?

Wir hatten wöchentlich Skype-Meetings mit unseren Lehrern, die nicht immer hilfreich und produktiv waren, weil man nicht ins Detail gehen kann und das Kleidungsstück nicht gut zeigen kann.

Hat sich das Social Distancing auf deine Kreativität ausgewirkt?

Ich habe Zeit mit Dingen verbracht, für die ich mir meist nicht so viel Zeit nehme, wie zum Beispiel lesen. Das hat mich sehr inspiriert und meine Kreativität gefördert.

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Florentina Leitner, 3d by Geoffrey Lillemon, Model: Franziska Prohaska

Warum bist du nach Antwerpen gegangen?

Weil ich unbedingt an der Royal Academy of fine arts studieren wollte und ein großer Fan von der Arbeit der Antwerp Six und im Besonderen von Walter (Anmerkung: van Beirendonck) war und noch immer bin.

Was hast du vor der Royal Academy of Fine Arts gemacht?

Ich bin mit Vierzehn in die Modeschule der Stadt Wien im Schloss Hetzendorf eingetreten und habe mich dort auf Strickmode spezialisiert.

Was ist das wichtigste, das du in Antwerpen gelernt hast?

Zeitmanagement ist sehr wichtig. Man kann alles schaffen, wenn man hart dafür arbeitet. Aber am wichtigsten bleibt immer ein gutes Umfeld mit Freunden und Familie.

Wie funktioniert das Zusammenleben an der Uni? Steht ihr in Konkurrenz zueinander oder ist es mehr ein gegenseitiges Stärken und Unterstützen?

Teamwork ist an der Uni nicht vorgesehen. Alles ist sehr individuell und jeder arbeitet an seinen eigenen Kollektionen. Wir kommen aber alle ziemlich gut miteinander aus und treffen uns sehr gerne nach der Arbeit auf ein Bier.

Wie kann sich die Mode in dieser Krisenzeit neu erfinden?

Es ist wichtig in dieser Situation, wahrgenommen zu werden. Junge Designer sollten in dieser Zeit zeigen was sie können und neue Wege finden ihre Kollektionen zu präsentieren. Außerdem glaube ich, dass es wichtiger werden wird, was man produziert und wie und wo man es produziert. Beispielgebend finde ich kleine Restaurants, die es schaffen, mit nur einem hervorragenden Menu und nur ein oder zwei fantastischen Weinen erfolgreich zu sein.

Welche Bedeutung haben digitale Medien für dich?

Digitale Medien ermöglichen uns Mode umweltfreundlicher zu präsentieren. Sie geben auch jedem noch so kleinen Designer eine Stimme und die Möglichkeit, seine Kreationen mit der Welt zu teilen. Das finde ich großartig. Aber gleichzeitig bringen digitale Medien eine irrsinnige Geschwindigkeit. Jeder versucht mitzuhalten und dadurch ergeben sich schnell wechselnde Trends und ein Verlust von Qualität.

Wie siehst du Feminismus und Diversität in Zusammenhang mit Mode?

Als weibliche Modedesignerin finde ich es wichtig, für und hinter anderen Frauen zu stehen. Mode ist nach wie vor westlich gesteuert und zeigt nur die schönen und sozial erwünschten Seiten des Lebens. Ich finde es aber wichtig, alle Seiten zu zeigen – und damit auch alle Körperformen, Hautfarben und Geschlechter.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in deiner Arbeit?

Ich arbeite in meinen Kollektionen viel mit Upcycling und kaufe meine Stoffe hauptsächlich bei Stocksauer. Dort bekomme ich Restmaterial, mit dem ich weitgehend nachhaltig produzieren kann.

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MIDNIGHT VERTIGO; WWWSHOWWW; Royal Academy of Fine Arts Antwerp


Annemarie Saric


„Ungerechte Aspekte der Branche entdecken und ein neues Regelwerk für die Zukunft einführen.“ 
Annemarie Saric


Annemarie Saric kam von der Modeschule der Stadt Wien im Schloss Hetzendorf nach Antwerpen. Ihre Abschluss-Show an der Royal Academy of Fine Arts Antwerp lief unter dem Titel LUXUS FÜR ALLE.

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MA Blind Date: Annemarie Saric und Tim Blanks

Wie organisierst du deine Arbeit in der Zeit des Social Distancing?

Für uns ist es normal, überwiegend zuhause zu arbeiten. Jetzt mussten wir ausschließlich zuhause arbeiten und haben Besprechungen und Fittings via Skype abgehalten.

Hat sich das Social Distancing auf deine Kreativität ausgewirkt?

Auf meine Kreativität nicht. Aber wegen der Isolation wurden geplante Kooperationen abgesagt. Außerdem musste ich neue Kanäle für den Bezug meiner Stoffe finden und dadurch die Silhouetten meiner Entwürfe entsprechend anpassen. Das war herausfordernd aber auch interessant.

Wie kann sich die Mode in dieser Krise neu erfinden?

Was auch immer die Änderung sein mag, sie ist noch nicht definiert. Es ist nicht so einfach, die Systeme und Mechanismen der Modeindustrie zu durchschauen. Aber die Situation gibt uns die Möglichkeit zur Reflexion und zum Gedankenaustausch und dadurch können wir falsche und ungerechte Aspekte der Branche entdecken und ein neues Regelwerk für die Zukunft einführen.

Ist für dich Mode und Nachhaltigkeit ein großes Thema?

Ich verwende fast ausschließlich deadstock Materialien und in dieser Kollektion habe ich außerdem durch eine sehr vereinfachte Schnitttechnik basierend auf einem Rechteck und durch das Anwenden von Einschnitten um eine 3D Form zu kreieren, keine Stoffreste gehabt.

Ist für dich Feminismus in Zusammenhang mit Mode ein Thema? Ist für dich Diversity ein Thema in Zusammenhang mit Mode? 


Man ist täglich mit solchen Themen konfrontiert und ich finde das auch positiv, weil man definitiv die eigene Arbeit und Ansätze hinterfragen sollte. Mir sind diese Themen bewusst und auch wichtig und ich hoffe dass ich es schaffe mit meiner Arbeit inclusive zu sein.

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LUXUS FÜR ALLE © Lee Wei Swee

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Text: Stefanie Honeder (01.07.2020)

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