Mode für das Museumspublikum
Das 1852 als ein "Museum of Manufacture" in South Kensington gegründete Victoria & Albert Museum gilt heute als eines der wichtigsten Museen der Welt im Bereich von Angewandter Kunst und Design. Oriole Cullen arbeitet dort als Kuratorin für das Fashion and Textiles Department. Im Gespräch mitAUSTRIANFASHION.NET berichtet sie von den Herausforderungen und Möglichkeiten, Mode museumsreif zu machen.
Wie wurden Sie zur Modekuratorin, einem immerhin nicht sehr häufigen Beruf - reiner Zufall, oder bewusste Entscheidung?
Ich habe nach einem Kunstgeschichte-Bachelor einen Master of Arts (MA) in Kostümgeschichte am Courtauld Institute in Somerset House absolviert. Dieses Studium wurde in den Siebzigerjahren als erstes seiner Art von der Designerin und Künstlerin Stella Mary Newton ins Leben gerufen. Danach hatte ich Glück und fand sofort eine Stelle in der Mode- und Textilsammlung des Museum of London, wo ich acht Jahre lang arbeitete. Vor vier Jahren wechselte ich zum Victoria & Albert Museum.
Gibt es in Großbritannien auch Masterstudiengänge für angehende Modekuratoren?
In den letzten zehn Jahren hat es in unterschiedlichen Bereichen großes Interesse für den Kuratorenberuf gegeben. Zugleich gibt es eine relativ große Anzahl von Studien, die auf Modegeschichte und -theorie spezialisiert sind und die Absolventen auf den Journalismus, das Kuratieren oder auch die Filmausstattung vorbereiten. Am London College of Fashion gibt es tatsächlich einen Masterstudiengang für "Curation and Criticism", also eine sehr präzise Spezialisierung. Posten gibt es in diesem Bereich allerdings nur sehr wenige. Langfristig ist es vielleicht klüger, sich eine etwas weiter angelegte Qualifikation anzueignen.
Worin besteht Ihre Arbeit für das Victoria & Albert Museum?
Abgesehen vom Kuratieren großer Ausstellungen wie zum Beispiel der Stephen Jones-Retrospektive letztes Jahr bin ich verantwortlich für das Fashion in Motion -Programm, das einen anders gelagerten Schwerpunkt darstellt und seit 1999 existiert. Fashion in Motion wurde von Claire Wilcox ins Leben gerufen, als das Museum sich neu orientierte und zeitgemäßer darstellen wollte. Damals war es für ein normales Publikum etwas völlig Außergewöhnliches, einer Modeschau mit echten Models beiwohnen zu können. Zugleich geht es um ein mit dem Museumsbetrieb untrennbar verbundenes Problem: Kleidungsstücke können nur so gezeigt werden, wie aus konservatorischer Perspektive verantwortbar ist - also mit reduzierter Beleuchtung, auf statischen Puppen. Damit verliert man ein wenig den Sinn dessen, wofür Mode steht. Fashion in Motion stellt hier eine Alternative dar.
Hier wird nur Mode der Gegenwart gezeigt?
Natürlich, denn wir würden niemals ein Objekt aus unserer Sammlung auf diese Weise präsentieren - hier müssen sehr strenge Kriterien beachtet werden. Fashion in Motion wurde konzipiert, um Bewegung in unsere Ausstellungsräume und Galerien zu bringen.
Wie kann man sich das vorstellen: Museumsbesucher werden plötzlich von Models umschwirrt?
Anfangs war das wirklich in etwa so - ungefähr sechs Looks wurden an spontan auftauchenden Mannequins gezeigt. Fashion in Motion wurde aber rasch so beliebt, dass die Models Probleme hatten, sich ihren Weg durch die Zuschauer zu bahnen. So wurde die Veranstaltung in die wunderschöne und große Raphael Gallery verlagert, wo sie heute dreimal im Jahr stattfindet. Der Eintritt ist immer noch frei, allerdings werden Zählkarten ausgegeben, damit wir das Publikum kontrollieren können. Die Produktion wird vom Team der London Fashion Week übernommen - Musik, Beleuchtung, Platz für 400 Zuschauer werden professionell organisiert. Innerhalb eines Tages wird dieselbe Show viermal gezeigt.
Ausschließlich britische Designer?
Keineswegs - in der Vergangenheit haben wir etwa mit Jean-Paul Gaultier und Christian Lacroix zusammengearbeitet. Uns ist an einer Mischung aus jungen Talenten und etablierten Designern gelegen. Im November wird es ein Event anlässlich des 40-jährigen Bestehens von Kenzo geben; etwas Ähnliches haben wir schon zum 50. Jubiläum von Missoni gemacht. Die meisten dieser großen Modehäuser steuern gerne Kleider aus ihren Archiven bei. Andererseits haben wir auch mit vielen jungen Designern aus der Londoner Szene gearbeitet, zum Beispiel Giles Deacon, Erdem, Gareth Pugh und Roksandra Ilincic. Auffällig ist in den letzten Jahren, dass die Designer offenbar unter immer größerem Druck arbeiten. Mit den Cruise-Kollektionen und Zwischenpräsentationen zusätzlich zu den regulären Terminen arbeiten sie das ganze Jahr ohne Pause durch. Es wird also immer schwieriger für uns, einen Termin für Fashion in Motion festzulegen. Die Arbeit mit Stephen Jones war überhaupt beeindruckend - da er ja ab der Haute Couture in Paris bei praktisch allen wichtigen Modewochen mitarbeitet, war er ununterbrochen auf Achse. Allerdings ist er wirklich ein spezieller Fall.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Museumsleute und Historiker im größeren Zusammenhang der Mode?
Während Journalisten, die zu internationalen Modewochen reisen, im Grunde den Geschmack des Publikums formen und beeinflussen, nehmen wir sozusagen bewusst Abstand und betrachten das Geschehen aus einer anderen Perspektive. Unsere Aufgabe besteht darin zu beobachten und einen bestimmten Zeitpunkt aufzuzeichnen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan.
Wie schwierig ist es, Mode für das Museumspublikum zu inszenieren? Welche Möglichkeiten gibt es, und welche Erwartungen haben die Besucher?
Dabei handelt es sich um eine der Kernfragen, die wir uns immer wieder stellen müssen: Wie haucht man einer statischen Darstellung auf Puppen Leben ein. Das Metropolitan Museum of Art in New York hat in letzter Zeit bei seinen Modeausstellungen, zum Beispiel Anlgomania, immer wieder versucht, die Puppen in dramatischere Positionen zu bringen, die den Eindruck von Bewegung und Dynamik erwecken. Dabei müssen aber immer die Ansprüche an das Konservieren von Mode gewahrt bleiben.
Stößt nicht eine allzu kühne Inszenierung von Puppen den Betrachter umso mehr auf die Tatsache, dass hier eben Statisches, und nicht Bewegung geboten wird?
Das stimmt. Es gibt auch das Konzept der unsichtbaren Puppe, wo ein Kleidungsstück dreidimensional ausgestellt zu schweben scheint. Die große Yves Saint Laurent-Retrospektive in Paris war interessant, weil dort viele Möglichkeiten ausgereizt wurden und man viele verschiedene Arten der Inszenierung wählte. Schwierig ist es übrigens auch, Pressebilder auszusuchen oder unsere eigenen Publikationen zu bebildern, da man auf keinen Fall nur Figurinnenbilder zeigen kann. Die Aufmerksamkeit der Leser geht so sehr schnell verloren.
Für Museumsbesucher gilt das nicht?
Die Menschen, die sich eine Modeausstellung anschauen, haben, glaube ich, ein wirkliches Interesse an Mode. Den echten Gegenständen gegenüberzutreten ist etwas völlig Anderes, als sich ein Foto anzusehen - man kann das nicht miteinander vergleichen. Das Dreidimensionale, der Stoffwurf, die Fältelungen - all das gibt es im Museum im Detail zu bestaunen. Ich selbst mag es, den Besuchern solcher Ausstellungen zuzuhören, wenn sie sich über die Kleidungsstücke unterhalten - das ist für viele ein sehr persönliches Erlebnis.
Interview: Daniel Kalt
(Archiv 2008)