Afrika: Mode aus der Position des globalen Südens denken
Die afrikanischen Modedesigner Thebe Magugu und Kenneth Ize zählen zu den vielversprechendsten Newcomern in London und Paris. Beide haben ihr Label in Afrika gegründet. Dort sind sie repräsentativ für eine global inspirierte Generation, die sich von kolonialen Mustern befreit hat und mit Mode eine neue Identität schaffen will.
Als Thebe Magugu den LVMH Prize 2019 gewann, war er der erste afrikanische Sieger in der Geschichte des weltweit höchstdotierten Preises. Zugleich war er der erste, der nicht von einer angesehenen westlichen Universität kam. Magugu studierte an der Modeschule LISOF in Johannesburg. Seine Arbeit überzeugte die Jury mit ihrem klaren, zukunftsweisenden Design und den Referenzen auf die afrikanische Kultur. Was die Jury erstaunte: Magugu möchte in seiner Heimat bleiben und mit dem Preisgeld noch mehr lokale Handwerker beschäftigen. Der 27-Jährige ist Teil einer vom Internet geprägten Generation, die sich von westlichen Idealen und der kolonialen Vergangenheit gelöst hat.
Ize möchte das einst angesehene Handwerk vor dem Aussterben retten. Er will es in den Schullehrplan integrieren und eine Anlage errichten, in der die Webkunst auch von Menschen anderer Länder erlernt werden kann. In diesem Bildungs- und Kulturaustausch sieht er zusätzlich die Möglichkeit, Narrative zu verändern - diese nicht aus westlicher Sicht zu erzählen, sondern aus der Sicht Nigerias. Das erklärte Ize gegenüber CNN.
Dieses Engagement wurde schon mehrfach belohnt: 2019 erhielt er den Award der Arise Fashion Week in Lagos und 2020 einen Fashion Award des British Fashion Council. Letzteren in der Kategorie Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. Dort war er übrigens schon 2015 Teil des nigerianischen Beitrags zum International Fashion Showcase (IFS).
Mode aus der Position des globalen Südens
Zurück zu Thebe Magugu: Erica de Greef vom African Fashion Research Institute in Johannesburg hat ihn an der Modeschule LISOF in Modetheorie unterrichtet. Sie ermutigt ihre Studenten, die Dinge zu hinterfragen und Mode politisch und aus der Position des globalen Südens zu denken.
De Greef: „Auch die Mode im globalen Süden war Teil der Internationalisierung. Das haben die feministischen Bewegungen und die von der Raumfahrt inspirierten 1960-er Jahre gezeigt. Aber durch die Verwobenheit mit der lokalen Politik hat sich die Erscheinung und die Symbolik dieser Modeerscheinungen verändert. (...) Die Mode spricht oft in zwei verschiedenen Registern: Einerseits ist sie die Sprache des Westens – zum Beispiel wenn es um Marken und Medien geht - und andererseits artikuliert sie ihre Verflechtung mit der lokalen Politik. Das kann Widerstand gegen den Kolonialismus sein, eine gegenkulturelle Bewegung, et cetera.“
Als Magugu seine Kollektion für Herbst/Winter 2020 vorbereitete, reiste de Greef mit ihm in seine Heimatstadt Kimberley. Die Stadt ist Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Diamantenabbau groß geworden. Der Designer wuchs in einem Township auf - eine von Farbigen bewohnte Siedlung. Bis heute hat er großen Respekt vor den Menschen in seiner Gemeinschaft. Obwohl sie unter Arbeitslosigkeit und kein Sozial- und Gesundheitssystem haben, sind sie stolz, geduldig und freundlich, so de Greef. Auf der gemeinsamen Reise machte Magugu eine fotografische Intervention um die negativen Assoziationen zu provozieren, die mit Townships verbunden sind - und die Abwesenheit von Schönheit, Reichtum und Macht zu zeigen. Entstanden sind berührende Bilder, in denen auch Einwohner des Township seine Kleider tragen.
Magugu hat übrigens auch das jährlich erscheinende Modemagazin Faculty Press gegründet, in dem er die junge Avantgarde südafrikanischer Designer und Künstler präsentiert. Dabei verfolgt er einen intellektuellen Ansatz. Es gehe weniger um die Kleider als um die Semiotik hinter den Kleidern, erklärt er gegenüber Dazed Digital.
Stiller kultureller Aktivismus
Die Biographien von Magugu und Ize sind sehr unterschiedlich. In deren Arbeiten erkennt De Greef dennoch ein einendes Element – und zwar „den Ort, den sie ihr Zuhause nennen“. Indem sie der Frage nachgehen, was Heimat für sie bedeutet, kreieren sie fortwährend eigene Welten und setzen diese in Beziehung zu anderen Welten – in einer Art zeitgenössischem Dialog. Beide gestalten ihre Erzählweisen wertschätzend und verändern dadurch auch die Wahrnehmung bestehender Narrative, so de Greef. Zitat: “Die subtile Politik, die dem zugrunde liegt, ist ein ‚stiller kultureller Aktivismus’, der darauf abzielt, die Dominanz des westlichen Modesystems mit alternativen Werten, kulturellen und ästhetischen Praktiken und Bezügen zu stören.“Das aufsteigende Afrika
Auf einer kommerzielleren Ebene erhielt das kulturelle Afrika schon 2016 weltweit Aufmerksamkeit. Damals erschien das Buch Africa Rising, das Mode und Design von jungen Gestaltern aus den pulsierenden Metropolen des Kontinents zeigt. Die positive Konjunktur liegt vor allem an der steigenden Kaufkraft einer aufstrebenden Mittelschicht. Der afrikanische Markt für Luxusartikel wurde 2016 auf 5,9 Milliarden Dollar geschätzt, das Wachstum bis 2021 auf 30 Prozent. Eine Prognose, die pandemiebedingt allerdings nicht eintreffen wird. Gleichzeitig öffne sich ein globaler Luxusmarkt für ethisch und ökologisch korrektes Handwerk von ungewöhnlichen Plätzen, erklärt Kristy Caylor von The Maiyet Collective gegenüber Vogue. Die New Yorkerin ist ständig auf der Suche nach großartigen Handwerkern und bereist Länder wie Kenya, Indonesien, Bolivien, Indien und Peru.In Deutschland entstand schon 2012 die digitale Plattform Fashion Africa Now, die afrikanische Künstler und Designer aus der Perspektive von Afrika und der Diaspora präsentiert - und so eine Verbindung zwischen der afrikanischen und europäischen Kreativszene schafft. Gründerin ist Beatraca Angut Oola, deren Familie aus Uganda stammt. Sie arbeitet mit Kulturinstitutionen und der Kreativszene zusammen und kuratiert Ausstellungen, Talks, Pop-ups, Messen und Events weltweit.
Mangelnde Industrialisierung
In Österreich gründete Adiam Emnay 2014 den Onlineshop Dubaruba, in dem sie zeitgenössisches afrikanisches Design verkauft. Sie ist in Äthiopien und Eritrea aufgewachsen und kam mit dreizehn nach Wien, wo sie Wirtschaft studierte. Die Labels und Produzenten mit denen sie zusammenarbeitet, sind klein und können keinen großen Markt bedienen. Ihre Produkte – Papiertaschen, Schmuck, Schals, Kissen und Decken – entstehen in enger Zusammenarbeit mit den Ausführenden. Wobei sie den Designern größtmögliche Freiheit gibt. Manche Designs nehmen Bezug auf die afrikanische Tradition. Allzu Klischeehaftes vermeidet sie jedoch. Die Dinge sollen weltweit im Alltag verwendet werden können.Ohne großes Werbebudget und Preispolitik sei es allerdings nicht leicht für einen kleinen Online-Shop wie Dubaruba, sagt Emnay: „Wir haben keine Billigprodukte. In Asien und in der Türkei kann man für Cents produzieren. In Südafrika ist das nicht möglich." Zwar habe es Handwerk in Afrika immer schon gegeben, aber die Industrie sei gerade erst im Entstehen: „Nähen ist keine Rocket Science – 50.000 Hemden gleich zu nähen ist es aber. Man muss jeden Tag schauen, ob alles richtig läuft. In der Vergangenheit musste ich schon produzierte Ware verwerfen, weil sie nicht den westlichen Anforderungen entsprochen hat", so Emnay. Das war für sie letztendlich die Entscheidung, keine Bekleidung zu produzieren.
Westliche Unterstützung
In Afrika gibt es viele Schneider, aber kaum Industrie. Dadurch sind die Produktionsverhältnisse schwierig. Die jungen Kreativen müssen sich die Infrastruktur, die sie brauchen, erst aufbauen. In Paris, Mailand oder London hätten sie es einfacher. Unterstützung erhalten sie durch die Arise Fashion Week in Nigeria. Da sie mit ihren herausragenden Kollektionen ein globales Publikum erreichen, ist es wahrscheinlich, dass der Kontinent bald die Bedeutung in der Modeindustrie bekommt, die ihm zusteht. Bis jetzt kannte die westliche Modeindustrie Afrika nur als einen Ort der Inspiration. Aber auch das scheint sich zu ändern: Gucci hat eine Diversitätsinitiative gestartet und bietet afrikanischen Universitäten einen Design Inkubator an. Das enthüllte Naomi Campbell zur Arise Fashion Week 2019. Unterstützung kommt auch vom British Fashion Council, das als Sponsor der Arise Fashion Week auftritt.
Modedesign aus Afrika:
Das zeitgenössische Modedesign leidet unter einer mangelnden Industrialisierung
Hildegard Suntinger (02.02.2021)