Ganesha
Majella Reismann entwickelt Funktionskleidung für den Ausnahmezustand Krankheit: Dass ihr Anzug für Kranke und Pflegebedürftige neben hoher Funktionalität und großem Tragekomfort auch noch modisch und chic ist, war Majella Reismann enorm wichtig. „Mir geht es um die Würde des Menschen“, erklärt sie. Im Interview gegenüber AUSTRIANFASHION.NET berichtet sie über Idee und Motiv sowie die Besonderheiten ihres Produkts Ganesha.
Dein Wohlfühlanzug für Kranke und Pflegebedürftige ist nun schon eineinhalb Jahre auf dem Markt. Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, Funktionskleidung zu entwerfen?
Weil es höchste Zeit dafür ist: Es gibt zwar jede Menge Spezialmoden – für Babys, für verschiedene Berufe, für den Sport etc. – für den Ausnahmezustand Krankheit mangelt es aber an adäquater Kleidung. Das wollte ich ändern. Schon aus ureigenem Interesse: Wenn ich mal krank bin, möchte ich chic gekleidet sein, möchte es bequem haben, mich beschützt wissen und so autark wie möglich bleiben... Denn wenn man krank und pflegebedürftig ist, fühlt man sich ausgeliefert und ist besonders schutzbedürftig. Ich habe selbst mal privat gepflegt und kenne die Bedürfnisse der Kranken genauso wie die Belastung für die Pflegenden.
Bei der Entwicklung deiner Funktionskleidung ging es also darum, für beide Seiten eine Verbesserung zu finden?
Genau, es ging darum, zwei Problemfelder zu lösen. Zum einen wollte ich das Stigma Krankheit beenden. Die Persönlichkeit eines Menschen drückt sich auch durch seine Kleidung aus. Seine Individualität soll auch im Ausnahmezustand des Krankseins bewahrt bleiben. Und die Würde der PatientInnen: Es ist nicht nötig, für eine Untersuchung halbnackt zu sein. Es reicht, wenn nur der zu behandelnde Körperteil frei gelegt wird. Dadurch fühlen sich die Betroffenen geschützt, nicht so ausgeliefert. Und zum anderen muss es ja in Spitälern und Heimen immer schnell(er) gehen, d.h. das Gesundheitsteam muss wegen der Effizienz, die überall herrscht, ganz schnell Zugang zum Körper haben. Die können nicht ewig warten, bis sich eine Patientin ausgezogen hat.
Wie hast du das umgesetzt, welche Funktionen weist Ganesha auf?
Mein zweiteiliger Anzug schafft mit den Zwei-Weg-Zipps an Ärmeln und Hosenbeinen ruck-zuck Zugang zum Körper. Die Zipps sind auch von Schlaganfall-PatientInnen leicht zu öffnen und ersparen umständliches Aus- und Anziehen beim Einsatz medizinischer Therapien. Integriert ist auch die Harntasche innen in den Hosenbeinen, damit nicht jeder sieht, dass man zwischenzeitlich einen Katheder hat. Der Bund ist weich, elastisch und regulierbar für den optimalen Sitzkomfort. Damit keine Druckstellen (Dekubitus) entstehen, sind alle Zipps großzügig mit Stoff, sogenannten Zippercovern, unterlegt. Die hohe Schneiderkunst hat es geschafft, Design, Komfort und Funktionalität zu vereinen, damit Wohlfühlen möglich wird.
Warum hast du für dein Produkt den Namen des indischen Elefantengottes gewählt?
Ganesha steht für Neubeginn und Hindernisse überwinden, genau das will mein Anzug für PatientInnen sein: sie unterstützen auf dem Weg der Genesung.
Die Bekleidungsbranche war ja nicht immer dein Metier. War das anfänglich nicht sehr schwierig, dich in diesem neuen Bereich einzuarbeiten?
Anfangs schon, ich wusste ja nicht, welch’ weites Feld ich da betrete. Zuerst besuchte ich Pflegeheime, befragte ÄrztInnen, Schwestern und PatientInnen: Wenn ihr euch ein funktional optimales Kleidungsstück wünschen könntet, wie sähe das aus? Ich eruierte gemeinsam mit einem Gesundheitsteam die Anforderungen an funktionale Bekleidung und fand dann in der Firma www.clothing-network.de den idealen Partner. Rupert Gimpl, der Geschäftsführer, teilt meine Vision, die beste Qualität und ein super Produkt machen zu wollen und ist inhaltlich voll auf meiner Linie.
Wie sieht es mit dem Material aus, welche Kriterien waren dir wichtig?
Ganesha besteht zu 95 Prozent aus Baumwolle und zu 5 Prozent Elasthan. Das Material sollte beste Qualität sein, damit die Person, die ihn trägt, es bequem und angenehm hat, sich darin wirklich wohlfühlen kann. Außerdem fällt der Stoff schön, ist leicht zu pflegen und verliert auch nach vielen Waschgängen nicht die Facon.
Und wo wird produziert?
Wir arbeiten mit zwei kleinen Firmen in Portugal zusammen und mit einer Zipperfirma in Deutschland.
Besteht ein Unterschied zwischen Ganesha für Frauen und Männer oder handelt es sich um ein Unisex-Modell?
Eigentlich kann man Unisex-Modell dazu sagen, allerdings hat das Männermodell ein verlängertes Hosentor mit Zipp. Männer wollen dieses unbedingt.
Soviel ich weiß, gibt es nichts Vergleichbares auf dem Markt. Hast du mit Ganesha eine Marktlücke gefüllt?
Anscheinend ja, doch gefüllt ist übertrieben. Ganesha ist der innovative Zugang zu einem noch unberührten Markt, sozusagen der Start einer neuen Produktpalette, die mehr als notwendig ist. Und wir arbeiten bereits an seiner Weiterentwicklung, in welche Richtung möchte ich aber noch nicht verraten.
Wie lange dauerte die Prototypen-Entwicklung und tauchten Probleme auf?
Oh, Gott ja, in den zwei Jahren, die wir für die Entwicklung der Prototypen brauchten, tauchten eine ganze Menge an Problemen auf. Doch was gibt es Spannenderes als seine Idee Schritt für Schritt wachsen zu sehen? Immer wieder zu fragen, geht das noch besser, schöner, angenehmer usw. Heute sind wir stolz auf Ganesha. Wir haben gemeinsam ein gutes Produkt entwickelt, in der – wie wir meinen - besten Ausführung, zur Freude unserer KundInnen. Was will man mehr?
Welcher Art waren die Probleme bzw. gab es Details an Ganesha, die immer wieder neu überdacht werden mussten? Wer sind die Abnehmer? Privatpersonen, Spitäler, Heime?
Ganesha ist bei uns weiblich! Es sind nach wie vor die Frauen, die Gesundheitsprodukte für ihre Lieben besorgen. Die Frauen sind ja die, die pflegen und darauf achten, dass es ihnen an nichts fehlt. Männer können nicht zugeben, dass sie so etwas wie Ganesha brauchen. Sie tun sich schwerer damit als Frauen, krank und pflegebedürftig zu sein. Sie verstecken sich gern hinter dem Bild des starken Mannes, den nichts umwerfen kann.
Und öffentliche Abnehmer gibt’s keine?
In Spitälern, Heimen, Reha-Kliniken herrscht Personalknappheit und Zeitnot, das durfte ich zur Genüge feststellen. Es gibt zwar großen Zuspruch zum Produkt, man erkennt die Erleichterung für alle, möchte es auch gerne weiterempfehlen, doch dafür fehlen Zeit und MitarbeiterInnen. Dabei würde Ganesha sich gerade für sie in einigen Wochen amortisieren... Anscheinend ist Deutschland da anders, Privatspitäler haben schon Interesse bekundet. Mal sehen...
Wie ist es deiner Meinung nach um das Bewusstsein bestellt, dass Kranke und Pflegebedürftige ein Recht auf würdevollen Umgang und ein entsprechendes Outfit haben?
Die ehrliche Antwort ist, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, doch das ist es nicht. Mit Krankheit und dem Alter wollen die meisten nichts zu tun haben. Wir blenden, was wir nicht wollen, einfach aus. Denn wer will schon alt und krank sein?
Majella Reismann wurde 1961 in Wien geboren. Nach der Handelsschule wollte sie Design studieren, gründete stattdessen ein Schallplattenlabel. Nach einigen Jahren stieg sie in die Medienbranche ein, zuerst als Fotoredakteurin für Basta und Rennbahn-Express, später als Fotochefin bei Diva, Ego und verschiedenen Kundenmagazinen. Für eine führende Werbeagentur war sie lange Zeit als Art- Buyer für PR und Filmproduktionen zuständig. Ihr Quereinstieg in die Textilbranche erfolgte 2009.
Text: Dagmar Buchta
Aus der Artikelserie Fashion & Innovation Mit freundlicher Unterstützung von impulse, der Austria Wirtschaftsservice GmbH
(Archiv 2012)