Menschenrechte, Metaverse und weniger Müll
Mode kann zu einem Ort der ökologischen Verantwortung und der sozialen Gerechtigkeit werden. Ist es vielleicht schon in zehn Jahren soweit? Die gesellschaftlichen und technologischen Grundlagen dafür sind jedenfalls bereits vorhanden.
Die Modeindustrie steckt in der Nachhaltigkeitskrise und bedarf einer Reparatur. Vor allem die Produktionsauslagerung in Billiglohnländer hat zu großen Problemen geführt: Während die Lieferketten das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden tragen, haben die rapiden Innovationszyklen zu massiven Müllbergen geführt, die oft verbrannt oder illegal in der Natur entsorgt werden. Kritik kommt von Politik und NGOs – und zunehmend auch von Endverbraucher*innen.
Theoretisch wären diese Probleme bis 2032 zu lösen, aber eine von Wettbewerb und Zahlen gelenkte Industrie reagiert erst dann, wenn sie muss. Denn die Vereinten Nationen verabschiedeten schon 2011 Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die eine Empfehlung für Regierungen und Unternehmen darstellt. Der gewünschte Effekt der Selbstverpflichtung blieb jedoch aus. Jetzt soll das EU-Lieferkettengesetz einheitliche Rahmenbedingungen schaffen.
Ein weiterer Stolperstein ist, dass mit nachhaltigen Technologien hergestellte Produkte ästhetisch oft noch hinter denen konventioneller Technologien zurückbleiben – Mode aber von Begehrlichkeit lebt. Deshalb startete die EU die Initiative The New European Bauhaus, die Praktiken und Produkte hervorbringen soll, die nicht nur nachhaltig und integrativ sind, sondern auch „für Augen, Geist und Seele schön (...) – und im Einklang mit der Natur“. Gefördert wird vor allem die Kreislaufwirtschaft, die geeignet ist, natürliche Ressourcen zu schonen und Müllberge abzubauen.
Weniger, aber besser
Das größte Interesse an Recycling haben die Modediskonter, die hoffen, dadurch ihre Hyperproduktion fortführen zu können. H&M hat sich an Renewcell beteiligt, dem Hersteller einer kreislauffähigen Faser – und äußerte unlängst die Absicht, die CO2-Emissionen halbieren und den Umsatz verdoppeln zu wollen. Laut Analysten wird die gesamte Fast Fashion noch weiterwachsen. Dabei liegt der globale Marktanteil der zehn größten Anbieter schon jetzt bei 30 Prozent. Die Politik stellt sich dagegen. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in einer Rede anlässlich der Frankfurt Fashion Week im Juni 2021: „Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass die Lösung manchmal einfach darin besteht, weniger, aber besser zu kaufen“. Ob es ein 2032 ohne Fast Fashion gibt, wird auch von den Endverbraucher*innen abhängen.
Mündige Konsument*innen
Endverbraucher*innen werden sich ihrer Macht zunehmend bewusst. Die weltweite Vernetzung via Internet hat zu einer Schärfung des Problembewusstseins geführt. In den sozialen Medien üben Menschen offen Kritik an der Modeindustrie. Blogger und Vertreter von Minderheiten prangern nicht nur Umweltverschmutzung und Menschenrechte an, sondern auch kulturelle Aneignung, Rassismus und die Abbildung unrealistischer diskriminierender Schönheitsideale.
Gleichzeitig hat eine internetaffine Generation Strategien gefunden, ohne spezifisches Wissen über und mit Mode zu kommunizieren. So erlebte 2021 das Netzwerk TikTok einen DIY-Trend: Nutzer*innen begannen aus Strumpfhosen, Socken und Shirts absurde Kleidungsstücke zu kreieren – einfach durch Zerschneiden, Verdrehen und Verknoten. Die Trendforscherin Agustina Panzoni gab dem Trend einen Namen: Subversive Basics! Die 26-Jährige sieht darin nicht nur ein Hinterfragen von Normen, sondern Rebellion gegen eine Welt der Krisen, die nicht mehr funktioniert – und eine Welt der Mode, die auch nicht mehr funktioniert.
Propagiert wurde der Trend von den Labels Nensi Dojaka und Ottolinger. Nach dem TikTok Hype war er aber zuletzt auch in den Kollektionen etablierter Modehäusern zu sehen. Ebenso wie das oversized Männersakko, das in den sozialen Medien zum Code einer feministischen Strömung geworden ist. Eine Modeindustrie, die sich für bottom-up Bewegungen öffnet, gibt den Anspruch auf Trendhoheit auf. Im Hinblick auf 2032 lässt das hoffen, dass Modeunternehmen mit ihrem Publikum einen Dialog auf Augenhöhe führen und zu Verbündeten werden.
Virtuelle Mode
Digitale Künstler*innen behaupten, den Ausweg aus der Nachhaltigkeitskrise schon gefunden zu haben. Sie schlagen vor, den schnelllebigen Teil der Mode in den virtuellen Raum zu verlagern, damit dieser nicht physisch produziert werden muss. Das wäre eine verantwortungsvolle Art zu konsumieren, ohne auf Mode zu verzichten.
Wie virtuelle Mode aussehen kann, zeigte das Institute of Digital Fashion (IoDF) anlässlich der London Fashion Week. In Kooperation mit dem Gaming-Riesen Roblox wurde ein metaverse-ähnlicher Raum geschaffen, in dem ein auf Augmented Reality basierendes Wearable getragen werden konnte. Es imitierte physikalische Eigenschaften, so dass es sich mit den realen Körpern im realen Leben bewegen konnte. Später wurde das Modell als sogenanntes Non-Fungible Token (NFT) in limitierter Auflage auf dem einschlägigen Online-Marktplatz The Dematerialised über die Lukso Blockchain angeboten.
Bis 2032 werden wir wohl noch mehrere solcher Marktplätze sehen. Ein weiteres Beispiel hierzu ist die neue Marketing-Plattform UNXD., der beiden Teams von VOGUE und WIRED. Ihr Ziel ist es die digitale mit der physischen Welt zu verflechten und sie glauben dass NFTs nicht mehr nur alleine im digitalen Raum existieren werden. Mit der Collezione Genesi wurde im August 2021 die erste Luxus NFT Kollektion von Dolce & Gabbana bereits vorgestellt. Sie vereint digitale und reale Elemente.
Mode im Metaverse
Im Sinne ihrer Erfinder könnte virtuelle Mode zu einer idealen Modewelt 2032 beitragen. Bis dato wird sie aber nicht als Ersatz gesehen, sondern als Ergänzung – und als Marketinginstrument, das die junge Zielgruppe über diverse Plattformen im Metaverse erreicht. 2032 könnte die immense Rechenleistung für das Metaverse schon gegeben sein und somit für ein breites Publikum zugänglich sein. Dann könnten wir virtuelle Räume gemeinsam nutzen und interagieren. Ein Vorbote davon war auch die erste Metaverse Fashion Week Ende März 2022 auf Decentraland.
Dass Mode im Metaverse eine Rolle spielen wird, macht auch der Videospiele- und Softwareentwickler Epic Games klar: Er startete im Februar 2022 den Ausbildungskurs Unreal Futures – Unreal Careers in Fashion um Interessierten interaktive 3D-Skills für Aufgaben im Metaverse zu vermitteln. Eine gute Aussicht für die Modeindustrie, die im virtuellen Raum ganz neue Möglichkeiten der Dramaturgie und des Community Building haben wird. Für nachkommende Generationen von Modebegeisterten wird das Metaverse eine intensivierte Form von Eskapismus bedeuten – mit psychologischen Effekten, die noch zu erforschen sind.
Umweltfreundliche Materialien
Eine anhaltend hohe Abhängigkeit von physischen Materialien bedingt die Entwicklung von Fasern aus nachwachsenden und erneuerbaren Rohstoffen, die recyclingfähig und/oder biologisch abbaubar sind. Besonders ressourcenschonend sind Produkte die aus Abfallstoffen bestehen, wie etwa aus Ananas- oder Bananenblättern oder Feststoffen, die beim Pressen von Apfelsaft übrigbleiben. Darüber hinaus gilt es, vom fossilen Rohstoff Erdöl unabhängig zu werden, weshalb umweltverträgliche Polyesteralternativen dringend gesucht sind. Denn Polyester macht die Hälfte der globalen Faserproduktion aus – Tendenz steigend. Vielversprechende Alternativen zu Erdöl sind Algen, Zellulose und – CO2. Letzteres ist Forschern von der Technischen Hochschule Aachen und Covestro gelungen. Die Forscher nutzen Kohlendioxid zur Herstellung von elastischen Textilfasern.
Weiters gibt es auch beim Anbau nachwachsender Rohstoffe – wie zum Beispiel Baumwolle – dringenden Handlungsbedarf. Landwirtschaftliche Böden sind eine unersetzliche Ressource. Will man sie erhalten, dann muss deren Ausbeutung durch Chemikalieneinsatz und Monokultur ein Ende haben. Eine heilende Alternative bietet die regenerative Landwirtschaft, deren vordringliches Ziel der Humusaufbau ist. Humus bindet Kohlenstoff im Boden und leistet somit nicht nur einen Umwelt-, sondern auch einen Klimabeitrag.
Urbane Modeproduktion
Die Produktionsauslagerung in Billiglohnländer hat nicht nur zu Umweltproblemen und Menschenrechtsverletzungen geführt, sondern auch zu langen Transportwegen. Das vergrößert den CO2-Fußabdruck der Modeproduktion und verlängert die Reaktionszeit auf Markttrends. Deshalb wollen ambitionierte Start-ups die Modeproduktion zurück in die urbanen Zentren bringen. Die Strategien variieren. Einendes Merkmal ist eine dreidimensionale Konzeption von Kleidungsstücken, die – kombiniert mit Körperscan – eine rasche Umsetzung von individuellen und maßgefertigten Kleidungsstücken ermöglicht. Besonders vielversprechend erscheint der 3D Druck, bei dem es – ähnlich wie beim Stricken – keinen Abfall gibt. Es wird nur so viel Material verwendet, wie tatsächlich gebraucht wird. Gedruckt wird mit Kunststoff, der auch aus wiederverwertbaren Rohstoffen hergestellt werden kann. So kann das alte Kleidungsstück eingeschmolzen und zu neuem Druckmaterial aufbereitet werden. Der Versand fällt weg, weil die Modelle in Form von digitalen Files online gekauft und im lokalen Maker-Shop angefertigt werden können. Bis dato noch teuer und langwierig, versuchen Spezialisten wie Stratasys gerade die letzten Probleme für ein Scale-up zu lösen und 3D-Druck von Kleidung dürfte 2032 schon möglich sein.
2032 könnte Kleidung aber auch neuartige soziale Funktionen übernehmen. Die 3D-Designerin Julia Körner hat 3D-Druck-Kleider entwickelt, die auf Emotionen des Nutzers reagieren. Ausgehend von der Beobachtung, dass Stimmungen mit der Erwärmung bestimmter Körperzonen verbunden sind, arbeitet sie mit Materialien, die die Farbe mit der Körpertemperatur des Trägers ändern. Konkret sind es Variationen eines Schwarz-Weiß-Musters, die Stimmungen wie Freude, Liebe und Stolz kommunizieren.
Ein anderes Beispiel für urbane Modeproduktion veranschaulicht eine Arbeit von Scarlett Yang: Sie generiert am Computer einen dreidimensionalen Kleiderschnitt mit netzartiger Struktur und realisiert ihn in 3D-Druck. So entsteht eine Form, in die flüssiges algenbasiertes Material gegossen wird. Wenn die Flüssigkeit getrocknet ist, kann das Kleidungsstück aus der Form genommen und noch gezielt durch Einwirkung von Luftfeuchtigkeit und Temperatur in Größe, Form und Textur verändert werden. Nach der vorgesehenen Nutzungsdauer kann es in Wasser rasch abgebaut werden.
Material Archive from Scarlett Yang on Vimeo.
Handwerk und soziale Reintegration
Sowohl 3D-Druck als auch Scarlett Yangs Ansatz spielen noch im Bereich der Kunst – werden aber 2032 schon Teil einer facettenreichen Modeproduktion sein. Beide Praktiken ermöglichen einen nachhaltigen Konsum und schaffen eine neue Ästhetik. Zugleich veranschaulichen sie, dass die aufwändige Herstellung von Kleidung nur teilweise automatisiert werden kann und neue handwerkliche Bearbeitungsprozesse erforderlich sind.
Durch die Verbindung von digitalen Techniken und Handwerk werden auch Upcycling-Projekte möglich, die zum Abbau der enormen Mengen an Müllbergen beitragen können. Bethany Williams ist Vertreterin eines neuen Typs von Designer*innen, die diese Aufgabe noch mit Gemeinnützigkeit verbinden. Die Britin verbindet ihre Produktion mit Reintegrationsprogrammen für sozial benachteiligte Personengruppen – wie etwa in Europas größtem Drogen-Rehabilitationszentrum San Patrignano, oder in Zusammenarbeit mit der Agentur Mending for Good, die Luxuslabels kreative und sozial gerechte Lösungen - mit einem Fokus auf innovatives Handwerk - anbietet.
Das gibt Hoffnung auf ein gutes 2032 für Mode und Umwelt!
Claudia Rosa Lukas, Hildegard Suntinger
(erschienen am 21. März 2022 auf JÁDU | Goethe-Institut)