Market in Accra
Markt in Accra © Erin Johnson/flickr

Upcycling, Dutch Wax und African Lace – die zeitgenössische afrikanische Modekultur ist importiert

In Afrika formiert sich eine lebendige Designszene, die traditionelle Textilien wiederentdeckt. Aber nur wenige schaffen es, ihre Ideen zu monetarisieren. Das Problem ist strukturell: Der Kontinent leidet an einer mangelnden Industrialisierung. Politiker machen die enormen Mengen an Gebrauchtkleidern aus Europa und USA dafür verantwortlich.

Als der mittlerweile sehr erfolgreiche Kenneth Ize sein Modestudium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien begann, wollte er herausfinden, ob es so etwas wie eine afrikanische Modeindustrie gibt, „because all I knew was that there were tailors – as many of them here as there are Starbucks in other places,” sagte der Österreicher mit afrikanischen Wurzeln gegenüber Vogue 2019. Damals entdeckte er ein YouTube Video von der noch jungen Arise Fashion Week, die 2011 vom Medienunternehmer Nduka Obaigbena gegründet wurde.

Mittlerweile gibt es eine lebendige Designszene, die sich aber aus eigener Kraft kaum halten kann. Der Markt in Afrika ist sehr schwierig, erklärt Ayo Elizabeth Olaogun. Sie ist in Österreich aufgewachsen und hat ihr Label Ayo Van Elmar in ihrer Heimatstadt Lagos gegründet: „Lagos ist sehr teuer. Nur etwa ein Siebtel der 14,4 Millionen-Einwohner-Stadt kann sich Luxus leisten. Viele verdienen nicht mehr als 250 Euro im Monat“, erklärt sie. Sie hat ein Modestudium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien absolviert und möchte jetzt einen MBA in Paris machen, um einen Job in einem der französischen Luxusmodekonzerne zu bekommen. Ihr Label will sie weiter betreiben, weil sie sich für ihr Team in Lagos verantwortlich fühlt. Auch produzieren will sie weiterhin in Nigeria – obwohl das sehr teuer ist. „Das liegt an den hohen Stromkosten – und einer mangelnden Stromversorgungssicherheit“ erklärt sie. Problematisch an Nigeria sei aber auch die instabile Währung. Deshalb will sie den Vertrieb ihres Labels stärker auf europäische Märkte verlagern – und auf Länder mit höherer Kaufkraft.

ayo van elmar

© Ayo Van Elmar

In ihrer Kollektion will sie sich auf Handarbeit und Stoffe aus afrikanischer Baumwolle konzentrieren. Die Schnitte sollen westlichen Konventionen entsprechen. In Afrika werden noch vielfach Tuniken und sogenannte Wraps getragen, erklärt Olaogun. Wraps sind aus Stoffbahnen gewickelte Kleider.

Aufbauarbeit

Die Züricher Handelsagentin Melanie Hanimann verbringt viel Zeit in Accra, der Hauptstadt Ghanas, wo sie mit lokalen Modedesignern zusammenarbeitet, um deren Kollektionen in der Schweiz zu verkaufen. Finanziell übernimmt sie das volle Risiko. Sie bezahlt die Kollektionen bevor sie in Produktion gehen. „Anders könnten die Designer*innen nicht produzieren,“ erklärt sie. Außerdem unterstützt sie die Designer*innen in technischen Belangen. Zum Beispiel arrangiert sie Skype Calls mit einer Schneiderin in Luzern, um ihnen aktuelle Fertigungsmethoden näherzubringen. Manchmal lässt sie deren Schnitte auch in der Schweiz überarbeiten.

Kente gentlemen

Kente Gentlemen / Agency Hanimanns

threaded tribes

Threaded Tribes / Agency Hanimanns

Die Designer*innen arbeiten meist mit traditionellen Stoffen, die sie in zeitgenössischen westlichen Designs interpretieren. Traditionelle Stoffe sind zum Beispiel Batik, Kente und Mudcloth. Kente ist ein grobes, bunt gemustertes Gewebe. Mud Cloth (auch Bogolan) verbindet mehrere traditionelle Techniken: Schmale Streifen handgewebter Baumwolle werden zu einem ganzen Tuch zusammengenäht und dann mit Mustern und Symbolen bemalt. Zu den natürlichen Farbstoffen zählt unter anderem bis zu einem Jahr gealterter Flussschlamm, der fermentiert ist.

Manche Designer*innen betreiben auch Upcycling – indem sie Teile vom Gebrauchtkleidermarkt neu interpretieren. Die USA und Europa exportieren große Mengen an Gebrauchtkleidern nach Afrika, die dort auf Märkten verkauft werden. Das sei Teil ihrer eigenen Kleidungskultur und deshalb natürlich, so Hanimann.  

Ihre Aufbauarbeit sieht sie als langfristige Investition. Sie möchte ihr Portfolio sukzessive vergrößern und den Vertrieb auf asiatische Märkte ausweiten. Hanimann: „Viele afrikanische Labels verkaufen sich auch in Korea, Japan und Taiwan gut.“

Typisch afrikanisch?

Aber nicht alle Stoffe, die man mit der afrikanischen Kleidungskultur verbindet, sind afrikanisch. African Lace und Dutch Wax, zwei sehr beliebte Stofftypen, sind importiert. Die Bezeichnung African Lace sei zweifach irreführend, erklärt Andreas Staudacher von der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Zum einen sei es keine Spitze, sondern Stickerei und zum anderen kommen die Stoffe seit 1966 vorwiegend aus Vorarlberg. Die Region gilt als viertgrößter Stickereilieferant der Welt und exportierte 2019 Stickereien im Wert von 30 Millionen Euro nach Westafrika. Das sind gut 53 Prozent der Gesamtproduktion, so Staudacher.
Die hohe Importmenge dürfte der mangelnden Industrialisierung in afrikanischen Ländern geschuldet sein.

African Lace

Die wahre African Lace prägte vor allem die Modekultur der Yoruba und Hausa in Nigeria sowie der Akan in Ghana, so der Wikipedia-Eintrag. Die ältesten Funde im westafrikanischen Mali belegen eine 900-jährige Tradition. Die Geschichte des Stoffs war wechselhaft: Während dem Heiligen Krieg waren reiche Stickereien noch verpönt. Das änderte sich erst als die herrschende Oberschicht nach religiöser Kleidung verlangte. Bestickte Kleidung galt als dem Islam zugehörig. Viele trugen sie, um der Versklavung zu entgehen. So entwickelte sich in Westafrika ein Netzwerk aus Webern und Stickern. Eine Zeit lang wurde bis in die entlegenen Dörfer gestickt - teilweise mit edlen und teuren Materialien. Typisch für Stickereien aus Liberia war der Einsatz von Baumwoll- und Wollgarnen.

Heute werde Kleidung aus Stickerei in Nigeria kaum noch im Alltag getragen, weiß Staudacher. Die Stickerei habe in Afrika eine ähnliche Entwicklung genommen, wie das Dirndl in Österreich – sie wird vorwiegend zu festlichen Anlässen getragen. In Afrika sind es aber nicht Stoffhändler, die die Stoffe einkaufen. Vielmehr sind es die Gastgeber, die diese an ihre Gäste weiterverkaufen, damit sich diese daraus ihre Kleidung für das Fest nähen lassen können. So komme es, dass bei großen Festen 3000 bis 5000 Menschen in den gleichen Stoff gekleidet sind, so Staudacher.

Wachsdruck: Dutch Wax

Dass man Wachsdruck für typisch afrikanisch hält, dürfte an der langen Tradition der Färbetechnik liegen, die schon seit 1846 vom holländischen Unternehmen Vlisco hergestellt wird. Seither ist der Stoff in vielen Teilen Afrikas in die Kleidungskultur eingegangen. Vlisco hatte die Technik entwickelt, um indonesische Batikstoffe mit einer industriellen Methode zu imitieren. Die Indonesier lehnten den Wachsdruck, der eigentlich eine Färbetechnik ist, aber ab. Speziell an der Technik ist, dass es keine Vorder- und Rückseite gibt. Das Muster erscheint auf beiden Seiten in gleicher Farbintensität. Damals basierte das Verfahren auf flüssigem Wachs, welches das Gewebe vollständig durchdringen muss, damit der Stoff im Färbeprozess beidseitig vor Farbe geschützt wird. Im Lauf der Zeit wurde das Wachs durch Hartz oder Kleister ersetzt.

Heute produziert Vlisco mit seiner Marke GTP (Ghana Textil Printing) auch in Afrika. Dabei gibt das Unternehmen dem Land auch etwas zurück: Es unterstützt zeitgenössisch schaffende Kreative. Der Vlisco Fashion Fund ist aufstrebenden afrikanischen Modedesigner*innen gewidmet. In einem weiteren Projekt wird talentierten jungen Modefotograf*innen ein Forum geboten - in Ausstellungen und auf der Unternehmenswebsite.

vlisco dutch design week

Präsentation afrikanischer Modefotograf*innen auf der Dutch Design Week 2019


Upcycling

Dass Afrika kaum Textilindustrie hat, liegt auch daran, dass neue Kleidung ein Luxus ist, den sich die einkommensschwache Bevölkerung nicht leisten kann. Viele beziehen ihre Garderobe aus Altkleiderimporten aus Europa und USA. Kantamanto, einer der größten Gebrauchtkleidermärkte in Afrika, befindet sich im Zentrum der ghanaischen Hauptstadt Accra. Der Markt erstreckt sich über eine Fläche von 28 Quadratkilometern. Das ist in etwa die Fläche der Kleinstadt Bregenz. Hier erhalten zwischen 20 und 30 Millionen Teile pro Monat ein zweites Leben: Sie werden gewaschen, geflickt, überfärbt, gebügelt und einem Upcycling unterzogen. Wenn ein Kleidungsstück nicht passt, wird es von Schneider*innen angepasst.

Der Handel mit Second-Hand Kleidern nahm seine Anfänge in den 1960-er Jahren – als die ersten Lieferungen aus Europa und USA in Ghana eintrafen. Weil die Kleider noch so gut erhalten waren, dachten die Afrikaner es handle sich um den Nachlass verstorbener Weißer. So entstand die Bezeichnung Dead White Man’s Clothes. In den 1960er Jahren konnte man mit dem Handel von Second Hand Kleidern in Kantamanto noch gute Geschäfte machen. Der westliche Kleidungsstil galt als Prestigesymbol. Geschätzt wurde vor allem die hohe Qualität. In der Zeit der Diskonter hat sich das geändert.

Umweltprobleme

In Kantamanto werden pro Woche 15 Millionen Kleidungsstücke abgeladen. Knapp vierzig Prozent sind unbrauchbar und werden auf überquellenden Mülldeponien entsorgt, im Golf von Guinea versenkt oder in den Hinterhöfen der Slums verbrannt. Die Händler sehen die Qualität der Ballen erst nach dem Kauf und nur wenige Importeure akzeptieren Rücksendungen. Durch das Überangebot sind die Preise gesunken. Nur mehr etwa ein Fünftel der Händler in Kantamanto macht Gewinn. Ein Teil des Handels hat sich in die Sozialen Netzwerke verlagert. Hier präsentieren trendaffine Zwischenhändler eine kuratierte Auswahl von Vintage Artikeln. Käufer sind Angehörige der Mittel- und Oberschicht.

Der Handel mit der westlichen Second Hand-Kleidung ist aber auch von sozialer Ausbeutung geprägt. Junge Mädchen aus dem Norden Ghanas finden hier Arbeit als sogenannte Kopfträgerinnen. Sie balancieren die schweren Ballen auf dem Kopf und tragen sie so von den Importeuren zu den Einzelhändlern und von den Händlern zu den Lagern oder zu den Konsumenten, et cetera. Pro Transport bekommen sie nur 0,3 bis 1 Dollar. Die sogenannten Kayayei sind oft nicht älter als 14 Jahre und die Ballen wiegen 60 bis 100 Kilogramm. Verletzungen sind häufig, manchmal enden sie auch tödlich.

Förderung der Textilindustrie

Mittlerweile sieht auch die Politik ein Problem in der Flut an Altkleiderimporten aus Europa und USA. Man will diese eindämmen, um im Gegenzug die schwache Textilindustrie auf dem Kontinent zu fördern. Diese Verknappung des Angebots soll zu einer steigenden Nachfrage nach neuen Kleidungsstücken führen. „Kurzfristig wird das Defizit durch neue Kleidungsstücke aus Asien ausgeglichen werden, erklärt Rodgers Mukwaya von der UN-Wirtschaftskommission für Afrika gegenüber Deutschen Welle. Denn schon lange sind die afrikanischen Märkte auch von chinesischen Billigimporten überschwemmt. "Langfristig glauben wir aber, dass wir einen Teil dieses Marktes selbst übernehmen können. Wichtig ist allerdings, dass wir unsere Textilindustrie ausbauen", so Mukwaya. Experten sehen eine Hürde in der oft fehlenden Infrastruktur und Stromversorgung. Dass es doch möglich ist, zeigt das Vorbild Äthiopien. Dort ist ein Industriepark entstanden, der heute mehrere tausend Menschen beschäftigt.


Modedesign aus Afrika:
Mode aus der Position des globalen Südens denken


Hildegard Suntinger (03.02.2021)

Bild: Markt in Accra © Erin Johnson/flickr

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